17. Stuttgarter Sportgespräch am 19. September 2022: Kommt der Kulturwandel im deutschen Sport?

eingestellt am 29.09.2022


Nach einem Jahr pandemiebedingter Pause lud die Kanzlei Wüterich Breucker am 19. September 2022 wieder zum traditionellen Stuttgarter Sportgespräch. Mit DOSB-Präsident Thomas Weikert, DFB-Präsident Bernd Neuendorf und der Sprecherin der DOSB-Athletenkommission und Präsidentin des Vereins „Athleten Deutschland“, Frau Karla Borger, waren dem Ruf der Kanzlei hochkarätige Gäste gefolgt, um unter der Moderation von Jens Zimmermann zum Thema „Aufbruch oder Absturz – kommt der Kulturwandel im deutschen Sport?“ zu diskutieren.


 Weikert und Neuendorf appellieren an Politik: Sportstätten offenhalten!

 

Die Präsidenten des Dachverbandes und des größten Sportverbandes hatten konkrete Forderungen im Gepäck: Die Politik dürfe die Sportstätten im bevorstehenden Winter nicht erneut schließen. Mit Blick auf die Schließung von Schwimmbädern in den vergangenen beiden Jahren sagte Thomas Weikert: „Wir haben zwei Jahrgänge, die nicht schwimmen gelernt haben. Wir müssen alles dafür tun, die Schwimmbäder offenzuhalten!“

Bernd Neuendorf stimmte zu und ergänzte: „Wir erleben im Fußball im Kinder- und Jugendbereich eine riesige Nachfrage. Leider müssen wir viele fußballbegeisterte Jungen und Mädchen nach Hause schicken, da nicht genügend Sportplätze und Sporthallen zur Verfügung stehen. Wir appellieren dringend an die Politik, die Kapazität an Sportinfrastruktur zu erhöhen!“ Die Präsidenten konnten ihre Forderungen direkt adressieren: Die Baden-Württembergische Ministerin für Kultus, Jugend und Sport, Frau Theresa Schopper, nahm am Sportgespräch ebenso teil wie der Stuttgarter Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper


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Ministerin Theresa Schopper, Athletensprecherin Karla Borger, Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper, DFB-Präsident Bernd Neuendorf und DOSB-Präsident Thomas Weikert (v. l.)


Beide hatten ein Grußwort entrichtet und darin die Bedeutung des Sports für die Gesellschaft und insbesondere für Kinder und Jugendliche unterstrichen. Ministerin Schopper kündigte an, sie werde sich mit allen Kräften dafür einsetzen, dass es nicht zu erneuten Schließungen von Sportstätten oder Schulen komme. Oberbürgermeister Dr. Nopper hob die soziale Bedeutung des Sports und die negativen Auswirkungen von Sportverboten auf die soziale Entwicklung und die schulischen Leistungen von Jugendlichen hervor.


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Rechtsanwalt Dr. Marius Breucker, Ministerin Theresa Schopper, Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper, Athletensprecherin Karla Borger, DFB-Präsident Bernd Neuendorf und DOSB-Präsident Thomas Weikert (v. l.)


Dr. Christoph Wüterich: Verbandsrechtliche Strukturen up to date?

 

In einem analytischen und mit historischen Bezügen gespickten Impulsreferat hatte Rechtsanwalt Dr. Christoph Wüterich die Frage aufgeworfen, ob die überkommene Struktur der Verbände für die heutigen, unterschiedlichen Ausprägungen vom Breiten- bis zum hochprofessionalisierten Spitzensport noch geeignet seien: Die überwiegend in vorkonstitutioneller Zeit entstandenen Verbände seien für den Amateursport gedacht gewesen und hätten dessen Interessen jahrzehntelang mit Vehemenz gegen den Profisport vertreten. Dann aber sei der Sport aus dem Dornröschenschlaf erwacht: „Mit der Öffnung der Olympischen Spiele für Profisportler hielt die Kommerzialisierung in den Sport Einzug. Damit gingen dramatische Veränderungen einher. Die Struktur der Verbände aber blieb seit dem 19. Jahrhundert die Gleiche“, sagte Wüterich. Nachdem im vergangenen Jahr der damalige DOSB-Präsident Alfons Hörmann auf eine Wiederwahl aufgrund eines anonymen Briefes aus dem Kreis der eigenen Mitarbeiter verzichtete und DFB-Präsident Fritz Keller nach einem Nazi-Vergleich entnervt zurücktrat und den Verband als unregierbar bezeichnete , erhebe sich die Frage, ob es sich dabei um bloße Einzelfälle handele oder strukturelle Schwierigkeiten zugrunde liegen. Die Monopolstellung der Verbände werde durch (auch) private Konkurrenzveranstaltungen zunehmend infrage gestellt und sei wohl rechtlich nicht zu halten. Die Berufung der Verbände auf das überkommene „Ein-Platz-Prinzip“ sei, so befürchtete Wüterich, juristisch nicht tragfähig und werde einer kartellrechtlichen Prüfung nicht standhalten.


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Rechtsanwalt Dr. Christoph Wüterich


Bernd Neuendorf griff diesen Punkt mit Blick auf das laufende kartellrechtliche Verfahren der Verfechter einer „Super League“ auf und erklärte, der DFB habe seine Position mit dem Bundesinnenministerium abgestimmt. Diese sei in die Argumentation der Bundesrepublik Deutschland im anhängigen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingeflossen. Nun gelte es, die Entscheidung im kommenden Jahr abzuwarten. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens werde sich der DFB gegen die Einführung einer Super League aussprechen, die derzeit ohnehin nur noch von Real Madrid, dem FC Barcelona und Juventus Turin verfolgt werde. Die deutschen Vereine hätten sich ebenfalls gegen die Super League positioniert.

Auf die Vorgänge um den Rücktritt des Vorgängers im Präsidentenamt, Alfons Hörmann, angesprochen erklärte Thomas Weikert: Man habe die Vorgänge durch eine Kommission gründlich untersuchen lassen und warte in Kürze auf deren Ergebnisse. Auf dieser Grundlage werde man über mögliche Konsequenzen entscheiden.

DOSB-Athletiksprecherin Karla Borger erläuterte, weshalb es trotz der Vertretung der Athleten in der die DOSB-Athletikkommission zur Gründung des Vereins „Athleten Deutschland“ gekommen sei: Ihr Vorgänger im Amt, Max Hartung, habe festgestellt, dass die Anliegen der Athletinnen und Athleten in der die DOSB-Athletikkommission zwar vorgetragen werden konnten, dort aber nicht – jedenfalls nicht hinreichend – Berücksichtigung fanden. Um die Interessen wirksam und unabhängig wahren zu können, habe Max Hartung damals gemeinsam mit ihr und weiteren Mitstreitern den Verein „Athleten Deutschland“ als unabhängige Interessenvertretung gegründet. Der Arbeitsanfall sei erheblich und sie müsse sich neben ihrem Sport nunmehr mit vielfältigen politischen Fragen befassen.

 

Neuendorf: Boykott der Fußball-WM in Katar nicht sinnvoll

 

Auf die Frage, ob der DFB die Fußball-WM in Katar boykottieren sollte, sagte Neuendorf: „Die öffentliche Wahrnehmung aufgrund der Fußball-WM hat zu erheblichen, positiven Veränderungen in Katar geführt, etwa zu Verbesserungen der Arbeitnehmerschutzrechte. Mit einem Boykott wäre dieser Effekt nicht erreicht worden.“ Weiterhin formulierte Neuendorf konkrete Forderungen an die katarische Regierung: „Katar muss gemeinsam mit der FIFA einen Fonds zugunsten der Angehörigen der Arbeiter einrichten, die bei den Arbeiten für die Fußball-WM ums Leben kamen oder so schwer verletzt wurden, dass sie ihre Familien nicht mehr versorgen können.“ Zudem müssten Anlaufstellen für Arbeiter, insbesondere solche aus ausländischen Staaten, eingerichtet werden, in denen sich um deren Belange pragmatisch gekümmert werde.

Karla Borger berichtete von ihren Erlebnissen anlässlich eines Beachvolleyballturniers in Katar und bemängelte, dass sie darum habe kämpfen müssen, temperaturangemessene Kleidung tragen zu dürfen. Zudem habe sie keine sporttreibenden Frauen gesehen und vor allem ein Team Katars vermisst. Dies sei besorgniserregend.


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Athletensprecherin Karla Borger und DFB-Präsident Bernd Neuendorf 


DOSB-Präsident Weikert plädiert für Olympische Spiele in Deutschland

 

DOSB-Präsident Weikert plädierte dafür, wieder Olympische Spiele in Deutschland durchzuführen. Zuvor müsse ein Prozess gestartet und die Bevölkerung befragt und mitgenommen werden. Was aber, wenn die Zustimmung ausbleibe? „Wir wollen die ganze Bevölkerung mitnehmen. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung Olympische Spiele nicht will, dann wollen wir das auch nicht“, sagte Weikert.


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DOSB-Präsident Thomas Weikert 


Zurückhaltend äußerte sich Karla Borger: Die European Championships im August 2022 in München seien herausragende Tage mit hervorragender Stimmung gewesen und hätten gezeigt, dass Sportgroßveranstaltungen in Deutschland gelingen können. Olympische Spiele seien aber damit nicht zu vergleichen und spielten in einer „ganz anderen Größenordnung“. Es müsse sich erst noch zeigen, ob Deutschland dazu bereit sei.


Aline Rotter-Focken über Olympia und den Deutschen Ringer-Bund

 

Im Interview mit Jens Zimmermann zeigte sich die Weltmeisterin und Olympiasiegerin im Ringen, Aline Rotter-Focken, spontan begeistert von der Idee Olympischer Spiele in Deutschland: Das sei für jeden Sportler und jede Sportlerin ein Traum und bestens geeignet, den Nachwuchs für olympische Sportarten zu begeistern. Angesprochen auf die zunehmende Konkurrenz privater Sportwettbewerber außerhalb der Verbandsstrukturen berichtete Rotter-Focken von der Entwicklung im Ringen: Dort gab es erhebliche Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschen Ringer Bund (DRB) und der privat organisierten Deutschen Ringerliga (DRL). Das habe alle Beteiligten viel Zeit und Kraft gekostet. Letztlich habe die Deutsche Ringerliga freiwillig aufgegeben, da sie die Ressourcen für die Organisation nicht habe aufbringen können.

 

Laura Siegemund: DTB könnte sein Betreuungsangebot erweitern

 

Die ATP-Tennisspielerin und Porsche-Grand-Prix-Siegerin von 2017, Laura Siegemund, lobte das Engagement des Deutschen Tennisbundes (DTB) für Kinder und Jugendliche und die nachhaltige Nachwuchsförderung. Wünschenswert sei darüber hinaus, die Begleitung der Sportler nicht mit dem Übertritt ins Profistadium enden zu lassen: „Als Tennisspieler ist man selbständiger Unternehmer und für seine Erfolge selbst verantwortlich. Das ist auch in Ordnung. Gleichwohl besteht die Möglichkeit – wie dies auch Verbände anderer Länder machen – die Sportler bei ihren Turniereinsätzen insbesondere zu Beginn ihrer Karriere zu unterstützen. Das wäre wünschenswert.“

Wie sich Erkenntnisse und Erfahrungen aus vielen Jahren Hochleistungstennis auf andere Bereiche in und außerhalb des Sports übertragen lassen, beschreibt Laura Siegmund gemeinsam mit Prof. Dr. Stefan Brunner in ihrem Buch „Wild Card - Herausforderungen mental meistern“, das sie beim Stuttgart Sportgespräch erstmals präsentierte und signierte.


Über 300 geladene Gäste in Stuttgart

 

Zum 17. Stuttgarter Sportgespräch hatte Rechtsanwalt Dr. Marius Breucker über 300 geladene Gäste im EventCenter am Hauptbahnhof begrüßt und unterhaltsam ins Thema eingeführt. Nach der Podiumsdiskussion und Fragen aus dem Plenum fanden die Gespräche unter den Teilnehmern ihre Fortsetzung. Unter den Teilnehmern waren wie jedes Jahr zahlreiche Entscheidungsträger aus Sport und Gesellschaft sowie langjährige Wegbegleiter des Stuttgarter Sportgesprächs wie der ehemalige Bundesverfassungsrichter und Nestor des Sportrechts, Professor Dr. Udo Steiner


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Rechtsanwalt Dr. Marius Breucker


Die Kanzlei wird die seit 2007 durchgeführte Reihe im Jahr 2023 mit dem 18. Stuttgarter Sportgespräch fortsetzen.


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Bernd Neuendorf, Karla Borger, Ministerin Theresa Schopper, Frank Thumm, Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper, Dr. Marius Breucker, Thomas Weikert, Aline Rotter-Focken, Laura Siegemund, Dr. Matthias Breucker, Dr. Christoph Wüterich und Jens Zimmermann (v. l.)


Bilder: Jens Körner und Tom Weller


Ein weiterer Bericht über das Sportgespräch findet sich unter: 2022 | SSG (stuttgarter-sportgespraech.de)



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