Gemeindliche Erschließungspflicht nach gegen Treu und Glauben verstoßender Verweigerung der Planverwirklichung

eingestellt am 01.02.2024

In einem bemerkenswerten von Wüterich Breucker Rechtsanwälte erstrittenen Urteil vom 12.01.2022 (Au 4 K 21.1107, juris) hat die 4. Kammer des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg der beklagten Gemeinde einen Eintrag in das Stammbuch verpasst, der in der Rechtsgeschichte seinesgleichen suchen dürfte.

Das Verwaltungsgericht fasst zunächst in Rz. 19 der Entscheidung die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Verdichtung der gemeindlichen Erschließungslast hin zu einer Erschließungspflicht zusammen:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfte am ehesten unproblematisch sein, wenn eine Gemeinde nach Erlass eines qualifizierten Bebauungsplans zu erkennen gibt, diesen Plan überhaupt nicht verwirklichen zu wollen. Das als treuwidrig zu werten, hat seinen Akzent nicht darin, dass die Planverwirklichung unterbleibt. Den Gemeinden ist unbenommen und muss unbenommen bleiben, sich auch noch nach dem Erlass eines qualifizierten Bebauungsplans für eine von ihm abweichende städtebauliche Entwicklung zu entscheiden. Wesentlich ist, wie sie auf eine solche Entscheidung reagiert: Will eine Gemeinde einen von ihr erlassenen qualifizierten Bebauungsplan nicht mehr ausführen, muss sie diesen Plan aufheben oder ändern und sich der daraus etwa folgenden Entschädigungspflicht stellen. Ihn anstatt dessen einfach nur "auf Eis zu legen", ist bauplanungsrechtlich nicht zulässig. Dennoch "faktisch" so zu verfahren, kann mit Rücksicht auf Treu und Glauben zu Konsequenzen führen, die unter Umständen darin bestehen, dass sich die Gemeinde gegenüber Erschließungsbegehren der betroffenen Grundstückseigentümer nicht mit Erfolg darauf berufen kann, ihre Erschließungslast bestehe nur ganz allgemein, im engeren Sinne verpflichtet sei sie insoweit zu nichts. Diesem – krassen – Fall ausdrücklich verweigerter Planverwirklichung steht es gleich, wenn eine Gemeinde an einem von ihr erlassenen Bebauungsplan zwar festhält oder festzuhalten scheint, dessen Verwirklichung jedoch – die Verwirklichung im allgemeinen und die Erschließung im besonderen – ungebührlich verzögert.

Im konkreten Fall gelangt das Verwaltungsgericht tatsächlich zur Feststellung einer Erschließungspflicht:

3. Ausgehend von diesen Maßstäben hat der Beklagte sich aufgrund ausdrücklich verweigerter Planverwirklichung in besonderem Maße treuwidrig verhalten. Sein widersprüchliches und gegen Treu und Glauben verstoßendes Verhalten ergibt sich aus dem Parteivortrag im gerichtlichen Verfahren und dem Inhalt der vorgelegten Behördenakten. So hat der Beklagte selbst zugestanden …., den Bau der Erschließungsstraße für das klägerische Grundstück ……... wegen verschiedenster Umstände bereits „vor Jahrzehnten endgültig aufgegeben“ zu haben. Auch der Bau- und Umweltausschuss des Beklagten bestätigte ausweislich des Sitzungsprotokolls vom ………, dass für das betreffende Baugebiet zwischenzeitlich eine andere Interessenlage bestehe und insbesondere der Bau der „…..straße“ schon „vor Jahrzehnten endgültig“ aufgegeben worden sei. Eine den oben dargestellten Grundsätzen des Bundesverwaltungsgerichts entsprechende Reaktion des Beklagten im Sinne etwa einer Umplanung erfolgte hingegen nicht. Vielmehr wurde die Verwirklichung des Bebauungsplans im Hinblick auf den südlichen Teil der Erschließungsstraße faktisch „auf Eis gelegt“. Das treuwidrige Verhalten ist hier darin zu sehen, dass der Beklagte die Herstellung der nach dem Bebauungsplan als Erschließung für das klägerische Grundstück ….. Vorgesehene öffentlichen Straße ohne sachlichen Grund dauerhaft und endgültig eingestellt hat, ohne hierauf angemessen planerisch zu reagieren und den Bebauungsplan entsprechend zu ändern. In diesem Verhalten des Beklagten liegt eine ausdrückliche, sachlich nicht gerechtfertigte und damit treuwidrige Verweigerung der Planverwirklichung.

………………….

Der Verstoß gegen Treu und Glauben tritt auch in dem weiteren widersprüchlichen Verhalten des Beklagten offenkundig zu Tage. In einem Schreiben des Ersten Bürgermeisters des Beklagten ……. an den damaligen Eigentümer des Grundstücks …... wurde ausdrücklich bestätigt, dass ein rechtskräftiger Bebauungsplan bestehe, der das hier streitgegenständliche Grundstück einwandfrei als Baugrundstück ausweise und eine Erschließung jederzeit über das Grundstück …. erfolgen könne. An diese Aussage fühlt sich der Beklagte nunmehr offensichtlich nicht mehr gebunden, denn nur so lässt es sich erklären, dass das Einvernehmen zu der Bauvoranfrage der Kläger auch im Hinblick auf die mögliche Erschließungsvariante über das Grundstück …... verweigert wurde und der Beklagte sowohl im Rahmen der Beteiligung im Vorbescheidsverfahren …….. als auch im gerichtlichen Verfahren eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass er der Erschließung durch die Kläger in deren eigener Verantwortung über deren Vorderliegergrundstück nicht zustimmen wird. Erschwerend kommt hinzu, dass der Beklagte einerseits den Bauwünschen der Kläger den Bebauungsplan entgegenhält und sich auf dessen Wirksamkeit beruft. Andererseits macht er im gerichtlichen Verfahren zunächst die Funktionslosigkeit geltend, welche er dann in seinem weiteren Vorbringen selbst wieder verneint. Abschließend beruft er sich auf formale Fehler bei der Aufstellung des eigenen Bebauungsplans.

Diese Ausführungen bedürfen keines Kommentars. Die Gemeinde hat offensichtlich völlig eigene Vorstellungen vom Recht und ihrem Umgang damit.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Antrag des Marktes auf Zulassung der Berufung durch Beschluss vom 21.09.2023 – 2 ZB 22.587 – zurückgewiesen hat.

Welche materiellen Folgen die damit festgestellte (vorsätzliche) Amtspflichtverletzung der Gemeinde hat, harrt noch der Klärung.

Wir berichten.In einem bemerkenswerten von Wüterich Breucker Rechtsanwälte erstrittenen Urteil vom 12.01.2022 (Au 4 K 21.1107, juris) hat die 4. Kammer des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg der beklagten Gemeinde einen Eintrag in das Stammbuch verpasst, der in der Rechtsgeschichte seinesgleichen suchen dürfte.

Das Verwaltungsgericht fasst zunächst in Rz. 19 der Entscheidung die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Verdichtung der gemeindlichen Erschließungslast hin zu einer Erschließungspflicht zusammen:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfte am ehesten unproblematisch sein, wenn eine Gemeinde nach Erlass eines qualifizierten Bebauungsplans zu erkennen gibt, diesen Plan überhaupt nicht verwirklichen zu wollen. Das als treuwidrig zu werten, hat seinen Akzent nicht darin, dass die Planverwirklichung unterbleibt. Den Gemeinden ist unbenommen und muss unbenommen bleiben, sich auch noch nach dem Erlass eines qualifizierten Bebauungsplans für eine von ihm abweichende städtebauliche Entwicklung zu entscheiden. Wesentlich ist, wie sie auf eine solche Entscheidung reagiert: Will eine Gemeinde einen von ihr erlassenen qualifizierten Bebauungsplan nicht mehr ausführen, muss sie diesen Plan aufheben oder ändern und sich der daraus etwa folgenden Entschädigungspflicht stellen. Ihn anstatt dessen einfach nur "auf Eis zu legen", ist bauplanungsrechtlich nicht zulässig. Dennoch "faktisch" so zu verfahren, kann mit Rücksicht auf Treu und Glauben zu Konsequenzen führen, die unter Umständen darin bestehen, dass sich die Gemeinde gegenüber Erschließungsbegehren der betroffenen Grundstückseigentümer nicht mit Erfolg darauf berufen kann, ihre Erschließungslast bestehe nur ganz allgemein, im engeren Sinne verpflichtet sei sie insoweit zu nichts. Diesem – krassen – Fall ausdrücklich verweigerter Planverwirklichung steht es gleich, wenn eine Gemeinde an einem von ihr erlassenen Bebauungsplan zwar festhält oder festzuhalten scheint, dessen Verwirklichung jedoch – die Verwirklichung im allgemeinen und die Erschließung im besonderen – ungebührlich verzögert.

Im konkreten Fall gelangt das Verwaltungsgericht tatsächlich zur Feststellung einer Erschließungspflicht:

3. Ausgehend von diesen Maßstäben hat der Beklagte sich aufgrund ausdrücklich verweigerter Planverwirklichung in besonderem Maße treuwidrig verhalten. Sein widersprüchliches und gegen Treu und Glauben verstoßendes Verhalten ergibt sich aus dem Parteivortrag im gerichtlichen Verfahren und dem Inhalt der vorgelegten Behördenakten. So hat der Beklagte selbst zugestanden …., den Bau der Erschließungsstraße für das klägerische Grundstück ……... wegen verschiedenster Umstände bereits „vor Jahrzehnten endgültig aufgegeben“ zu haben. Auch der Bau- und Umweltausschuss des Beklagten bestätigte ausweislich des Sitzungsprotokolls vom ………, dass für das betreffende Baugebiet zwischenzeitlich eine andere Interessenlage bestehe und insbesondere der Bau der „…..straße“ schon „vor Jahrzehnten endgültig“ aufgegeben worden sei. Eine den oben dargestellten Grundsätzen des Bundesverwaltungsgerichts entsprechende Reaktion des Beklagten im Sinne etwa einer Umplanung erfolgte hingegen nicht. Vielmehr wurde die Verwirklichung des Bebauungsplans im Hinblick auf den südlichen Teil der Erschließungsstraße faktisch „auf Eis gelegt“. Das treuwidrige Verhalten ist hier darin zu sehen, dass der Beklagte die Herstellung der nach dem Bebauungsplan als Erschließung für das klägerische Grundstück ….. Vorgesehene öffentlichen Straße ohne sachlichen Grund dauerhaft und endgültig eingestellt hat, ohne hierauf angemessen planerisch zu reagieren und den Bebauungsplan entsprechend zu ändern. In diesem Verhalten des Beklagten liegt eine ausdrückliche, sachlich nicht gerechtfertigte und damit treuwidrige Verweigerung der Planverwirklichung.

………………….

Der Verstoß gegen Treu und Glauben tritt auch in dem weiteren widersprüchlichen Verhalten des Beklagten offenkundig zu Tage. In einem Schreiben des Ersten Bürgermeisters des Beklagten ……. an den damaligen Eigentümer des Grundstücks …... wurde ausdrücklich bestätigt, dass ein rechtskräftiger Bebauungsplan bestehe, der das hier streitgegenständliche Grundstück einwandfrei als Baugrundstück ausweise und eine Erschließung jederzeit über das Grundstück …. erfolgen könne. An diese Aussage fühlt sich der Beklagte nunmehr offensichtlich nicht mehr gebunden, denn nur so lässt es sich erklären, dass das Einvernehmen zu der Bauvoranfrage der Kläger auch im Hinblick auf die mögliche Erschließungsvariante über das Grundstück …... verweigert wurde und der Beklagte sowohl im Rahmen der Beteiligung im Vorbescheidsverfahren …….. als auch im gerichtlichen Verfahren eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass er der Erschließung durch die Kläger in deren eigener Verantwortung über deren Vorderliegergrundstück nicht zustimmen wird. Erschwerend kommt hinzu, dass der Beklagte einerseits den Bauwünschen der Kläger den Bebauungsplan entgegenhält und sich auf dessen Wirksamkeit beruft. Andererseits macht er im gerichtlichen Verfahren zunächst die Funktionslosigkeit geltend, welche er dann in seinem weiteren Vorbringen selbst wieder verneint. Abschließend beruft er sich auf formale Fehler bei der Aufstellung des eigenen Bebauungsplans.

Diese Ausführungen bedürfen keines Kommentars. Die Gemeinde hat offensichtlich völlig eigene Vorstellungen vom Recht und ihrem Umgang damit.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Antrag des Marktes auf Zulassung der Berufung durch Beschluss vom 21.09.2023 – 2 ZB 22.587 – zurückgewiesen hat.

Welche materiellen Folgen die damit festgestellte (vorsätzliche) Amtspflichtverletzung der Gemeinde hat, harrt noch der Klärung.

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