
Ein Abend über alte Medien, neue Wege und die schöne neue Sportwelt
Unter dem Titel „Alte Medien, neue Wege – die Zukunft der Sportberichterstattung“ hatte die Kanzlei Wüterich Breucker am 11. November 2024 in das Eventcenter der SpardaWelt nach Stuttgart geladen. Und in der Diskussion vor und mit über 300 geladenen Gästen wurde rasch klar: Wer heute den Sport verstehen will, muss die Medien verstehen – und umgekehrt.
"Vorhang auf!" – eine Begrüßung mit Churchill und Augenzwinkern
Rechtsanwalt Dr. Marius Breucker von der Kanzlei Wüterich Breucker begrüßte die Gäste mit Churchill-Zitaten und Charme und spannte mit Blick auf die prominenten Podiumsgäste den perspektivischen Bogen von den traditionellen öffentlich-rechtlichen Formaten wie Sportschau und Bundesligakonferenz bis zu aktuellen Streamingangeboten und Insta Reels. Früher galt frei nach Loriot: "Ein Samstag ohne Sportschau ist möglich, aber sinnlos". Was bleibt von diesem vermeintlichen medialen Axiom in Zeiten von Highlight-Clips und Social-Media-Schnipseln?
Begrüßung durch Dr. Marius Breucker (Foto: 24passion)
Von drei zu 46 Kameras – Impuls der Kanzlei mit Tiefenschärfe
Dr. Christoph Wüterich, Namenspartner der gastgebenden Kanzlei, führte in seinem fundierten Impulsreferat plastisch vor Augen, wie rasant sich die Sportberichterstattung entwickelt hat: Von der Radioreportage des "Wunders von Bern" mit drei Kameras bis zur EURO 2024 bei der Neuauflage des Spiels Deutschland gegen Ungarn in Stuttgart mit 46 Hightech-Augen. Der Sport, so Wüterich, sei zur medialen Erlebniswelt geworden – und das Publikum zur Zielgruppe mit Fernbedienung, Swipe-Geste und sekundenschnellem Urteil. Das werfe die Frage auf: "Wo bleibt der Platz für Journalismus, Tiefe und Relevanz in einer Welt des 15-Sekunden-Contents?". Und: Wie weit darf und soll die Berichterstattung im Interesse der Quoten- und Aufmerksamkeitsgewinnung den „Athleten privat“ vorführen? Zugleich, so Wüterich, bärgen die von Startups mithilfe vollautomatisierter Kamerasysteme und KI kostengünstig erstellten Videos für Sportarten jenseits des Fußball eine große Chance, überhaupt medial stattzufinden.
Impulsreferat von Dr. Christoph Wüterich (Foto: 24passion)
Strobl, Dr. Polus, Seifert, Schlammerl, Kappel – ein Podium mit Profil
Moderator Jens Zimmermann führte klug und kenntnisreich durch die Diskussion mit einem Podium, das es in sich hatte: ARD-Programmdirektorin Christine Strobl, ZDF-Sportchef Dr. Yorck Polus, Dyn-Media-Gründer und vormaliger DFL-Geschäftsführer Christian Seifert, Elisabeth Schlammerl als Vizepräsidentin des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS) und Paralympics-Star Niko Kappel wagten den Parforceritt durch die sich rasch wandelnde Medienlandschaft von öffentlich-rechtlich bis Influencer-Kultur.
Elisabeth Schlammerl, Dr. Yorck Polus, Christian Seifert, Christine Strobl und
Moderator Jens Zimmermann (v. l.) (Foto: 24passion)
Strobl warb für „Lagerfeuermomente wie bei Olympia“ und mahnte: "Wir müssen die Gesellschaft zusammenhalten – und dafür braucht es starke Bilder und gemeinsame Emotionen." Gleichzeitig sprach sie von neuen filmischen Formaten wie "Being Jan Ullrich", mit denen die ARD neue Wege gehe. Getäuscht sah sich, wer Kontroversen zwischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern und privaten Anbietern wie DYN erwartet hätte. Stattdessen betonte Strobl die Möglichkeit von Synergien zum Wohle vor allem kleinerer Sportarten, wenn etwa öffentlich-rechtliche Morgen- und Mittagmagazine DYN-Beiträge von Volleyball, Tischtennis oder Hockey ins Programm nehmen. Auch die Zeitungen hätten durch DYN die Chance, Kurzvideos lokaler Vereine in ihre online-Berichterstattung einzubetten: „Die Rhein-Neckar Zeitung etwa kauft von DYN die Bewegtbilder der Rhein-Neckar-Löwen für einen überschaubaren Betrag und stellt diese Beiträge ihren Lesern zur Verfügung“.
Christian Seifert, Christine Strobl und Moderator Jens Zimmermann (v. l.) (Foto: 24passion)
Dr. Polus vom ZDF betonte die Offenheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und namentlich der Sportredaktionen für neue Medien und Formate: "Wir verstehen uns als Innovationstreiber." Und weiter: "TikTok, Insta, YouTube – da gelten andere Regeln. Wir müssen Inhalte zielgruppenspezifisch denken." Der Spagat zwischen 90-Sekunden-Beiträgen und Long-Form-Storytelling sei für die Redaktionen eine tägliche Herausforderung, der man sich gerne und bewusst stelle.
Elisabeth Schlammerl und Dr. Yorck Polus (Foto: 24passion)
Seifert: "Wer sich dem Wettbewerb nicht stellt, den stellt der Wettbewerb."
Christian Seifert lieferte pointierte Analysen und Zitate mit Punchline-Qualität. "Ob das Signal über Satellit, Internet oder Brieftaube kommt – dem Fan ist das egal. Hauptsache, der Ball rollt." Zur Wechselwirkung zwischen Medienpräsenz und Attraktivität der jeweiligen Sportart: "Die Nachfrage entsteht nicht am Spieltag, sondern dazwischen. Die Clubs müssen 24/7 relevant sein." Für Seifert ist der Club die neue Trägerrakete – nicht der Spieler, nicht die Liga. Die Sportberichterstattung müsse die Innovation umarmen: “Wer sich dem Wettbewerb nicht stellt, den stellt der Wettbewerb“. Der Sport solle sich offen für neue, junge Formate zeigen, denn: Wer nicht die Schulhöfe gewinne, der verliere die nächste Generation.
Dr. Yorck Polus, Christian Seifert, Christine Strobl und Jens Zimmermann (v. l.) (Foto: 24passion)
Print lebt? Vielleicht. Digital sicher!
Elisabeth Schlammerl brachte die Sicht der Printmedien ein und differenzierte schonungslos: "Die gedruckte Zeitung ist ein Auslaufmodell. Aber digital haben wir Chancen." QR-Codes, Bewegtbilder, Augmented Reality – die Zeitung von morgen sei eine multimediale Plattform. Gerade für Randsportarten böten Onlinemedien neue Sichtbarkeit, weil sie nicht unter dem Platzmangel der Printausgaben litten.
Kappel: Mit Selbstironie zur Medienmarke
Niko Kappel, der Weltrekord-Kugelstoßer und charismatische TikTok-Star, brachte das Publikum zum Schmunzeln und zum Nachdenken. Mit mehr als 9 Millionen Klicks und 250.000 Followern weiß er: "Nahbare Formate mit Augenzwinkern funktionieren. Der Paralympics-Sport braucht Sichtbarkeit – und da helfen auch Social Media." Die „Halbstarken“, seine SWR-Doku-Serie mit Mathias Mester, sei dafür ein gelungenes Beispiel. Kappel warb dafür, die Rolle des omnipräsenten Fußballs nicht zu beklagen, sondern zum Vorbild zu nehmen: „Warum steht der Fußball da, wo er steht? Weil er in den letzten Jahrzehnten einfach unfassbar viel richtig gemacht hat.“ Kappel forderte mehr Mut und Medienkompetenz auch bei anderen Sportverbänden ein. Er bestätigte Seiferts These, dass die Identifikation mit dem Verein entscheidend ist: „Wenn ich irgendwann mal aufhöre, ist auch die Marke Niko Kappel weg. Es braucht nachhaltige Strukturen, nicht nur Personen.“
Elisabeth Schlammerl, Niko Kappel, Dr. Yorck Polus (v. l.) (Foto: 24passion)
Diskussion und Dialog unter den Teilnehmern
Wie immer wurde beim Stuttgarter Sportgespräch nicht nur auf dem Podium, sondern auch mit und unter den Teilnehmern rege diskutiert, darunter Karla Borger von „Athleten Deutschland“, der DSV-Präsident und ehemalige Stuttgarter Oberlandesgerichtspräsident Dr. Franz Steinle, Sportbürgermeister Dr. Clemens Maier mit einem Grußwort der Landeshauptstadt und – mit Stammplatz beim Sportgespräch – der ehemalige Bundesverfassungsrichter, Nestor des deutschen Sportrechts und notorischer Jahn Regensburg-Fan Professor Dr. Udo Steiner.
Fazit: Relevanz gewinnt – in 90 Minuten oder 9 Sekunden
Ob Sportschau oder TikTok, ob Leitartikel oder Livestream: Wer heute Sport medial erfolgreich vermittelt, muss um Aufmerksamkeit konkurrieren. Oder wie Christian Seifert es zuspitzte: "Wir sind alle im Wettbewerb um das rarste Gut: Zeit."
Das 19. Stuttgarter Sportgespräch hat diesen Wettbewerb angenommen. Die Zeit war gut investiert, und der Abend weckte Vorfreude auf das Jubiläumsjahr 2025.
Frank Thumm, Jens Zimmermann,
Christian Seifert, Christine Strobl, Dr. Matthias Breucker, Elisabeth
Schlammerl, Dr. Yorck Polus, Dr. Marius Breucker, Dr. Christoph Wüterich (v. l.)
(Foto: 24passion)