Gegenanwalt als "fette Sau" bezeichnen kann im "Kampf ums Recht" erlaubt sein. Ist es sinnvoll?

eingestellt am 22.01.2024

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24.11.2023 – 1 BvR 1962/23 -

Das Bundesverfassungsgericht sieht es mit Beschluss vom 24.11.2023 – AZ.: 1 BvR 1962/23 – ggf. als erlaubt an, den Gegenanwalt als „fette Sau“ und „Rumpelstilzchen“ zu bezeichnen:

„Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da sie offensichtlich nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG genügt und deshalb unzulässig ist.

1. Allerdings lässt die Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG inhaltlich nachvollziehbar erkennen, soweit sie beanstandet, das Amtsgericht und ebenso das Landgericht hätten für ihre Annahme einer Beleidigung des Verfügungsklägers durch die Worte "fetter Anwalt" und "Rumpelstilzchen" den Kontext dieser Äußerungen nicht erörtert, zudem fehle es an einer Abwägung zwischen der persönlichen Ehre des Verfügungsklägers und ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Meinungsäußerungen, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Maßgeblich ist hierfür der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Urteile, die den Sinn der umstrittenen Äußerung erkennbar verfehlen und darauf ihre rechtliche Würdigung stützen, verstoßen gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>; 124, 300 <345>; stRspr). Diese Anforderungen verfehlen die Ausgangsgerichte bereits insoweit, als es den angegriffenen Entscheidungen sowohl an einer Betrachtung des Kontextes der auf der Internetseite "(…)" veröffentlichten Äußerungen ermangelt, wie schon an jeglichen kontextbezogenen Feststellungen.

b) Ebensowenig in Einklang zu bringen mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es überdies, wenn das Amtsgericht seine Annahme einer Beleidigung nach § 185 StGB allein darauf stützt, die Bezeichnungen "fetter Anwalt" und "Rumpelstilzchen" seien "ein Werturteil, welches ehrverletzenden Charakter" habe, und das Landgericht ausführt, das Verhalten der Beschwerdeführerin verletze den Verfügungskläger "wie zutreffend erstinstanzlich ausgeführt" in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Damit lassen die Ausgangsgerichte jede Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen Interessen vermissen, die aber nur ausnahmsweise entbehrlich ist, wenn sich eine Äußerung als Schmähung oder Schmähkritik im verfassungsrechtlichen Sinne, als Angriff auf die Menschenwürde oder als Formalbeleidigung darstellt (vgl. BVerfGE 82, 43 <51>; 85, 1 <16>; 90, 241 <248>; 93, 266 <293 f.>; 99, 185 <196>; BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 - 1 BvR 2397/19 -, Rn. 14 ff.; vom 21. März 2022 - 1 BvR 2650/19 -, Rn. 26 ff.). Einen solchen Fall haben die Ausgangsgerichte indes nicht angenommen.

c) Aus dem Blick verloren haben die Ausgangsgerichte zudem, dass die untersagten Äußerungen im Kontext eines gerichtlichen Verfahrens gefallen sind, in dem die Beschwerdeführerin als Verfahrensbeistand bestellt worden war. Den Ausgangsgerichten war es daher verwehrt, eine Ehrverletzung des Verfügungsklägers anzunehmen, ohne zuvor auch nur in Erwägung zu ziehen, dass es unter dem Gesichtspunkt des sogenannten "Kampfs um das Recht" im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich erlaubt ist, auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen (vgl. BVerfGE 76, 171 <192>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Juli 2014 - 1 BvR 482/13 -, Rn. 13; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 - 1 BvR 2397/19 -, Rn. 33; vom 16. Oktober 2020 - 1 BvR 1024/19-, Rn. 20).“ (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. November 2023 – 1 BvR 1962/23 –).

Wer beim „Kampf ums Recht“ auf Ausdrücke wie „fette Sau“ oder „Rumpelstichen“ zurückgreifen muss, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, sollte ggf. vorher sich hinterfragen, wie fundiert diese ist.

Der Anwalt, der nichts oder wenig sagen muss vor Gericht, hat gute Karten. Der andere hat dann ggf. wenig zu sagen und muss dies dann mit eindringlichen Ausdrücken unterstreichen.

So meine Meinung, die ich gerne zur Diskussion freigebe.

O.Renner@wueterich-breucker.de

Stuttgart, den 22.01.2024

Oliver Renner

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

c/o Wüterich Breucker Rechtsanwälte Partnerschaft mbH

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