Wenn der Sport an seine Grenzen stößt

eingestellt am 15.03.2010

In der Stuttgarter Zeitung vom 16.03.2010 wird darüber berichtet, was passiert wenn der Sport an seine Grenzen stößt.

Hintergrund: Der Dopingfall Pechstein bewegt sich juristisch auf sehr dünnem Eis

Sie nervt. Man hört das immer wieder, wenn es um Claudia Pechstein geht. Wenn sie irgendwo Klage eingereicht hat, ein Revisionsverfahren anstrengt oder auf Teilnahme an irgendwas klagt. Sie möge doch Ruhe geben, heißt es. 

Der Fall ist anstrengend. Für Claudia Pechstein geht es um viel, im Grunde um alles. Und sie gibt alles. Das muss nichts heißen. Es ist kein Indiz, ob man ein Urteil hinnimmt oder es vehement mit allen Mitteln angeht. Ob die Eisschnellläuferin gedopt hat oder nicht, wird ohnehin ewig eine Glaubensfrage bleiben, aber die Frage, ob die Beweise in dem Fall für ein Berufsverbot ausreichen, ist keine Frage des Glaubens oder der Staatsräson im System Sport, sondern eine der Rechtmäßigkeit. […]

Der Fall hat nicht nur formal den Sport verlassen. Es wirft auch Dinge auf, die über die Frage nach Schuld und Unschuld hinausgehen. Marius Breucker sagt, dass der Fall zeigt, dass die Sportgerichtsbarkeit an ihre Grenzen stößt. „Das System ist an einem Punkt, an dem es zu komplex zu werden droht“, sagt der Anwalt. Breucker kennt sich aus in der Welt des Sportrechts: Er vertritt unter anderem die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft, auch im Fall Pechstein, und die Welt Anti-Doping Agentur. 

Der Sport genießt in Deutschland Autonomie. Das heißt, er bestimmt selbstständig über die für ihn geltenden Spielregeln. Dabei muss er sich in den Grenzen des für alle geltenden Rechts – von EU-Recht und Grundgesetz über einfache Gesetze bis hinab zu Rechtsverordnungen – bewegen. Zu seinen Befugnissen gehören zum Beispiel Sanktionen bei Roten Karten im Fußball. Das Einverbandsprinzip und die damit verbundene Monopolstellung der Verbände hat den Vorteil, dass Regeln weltweit vereinheitlicht werden können. Kompliziert wird es, wenn Grenzen überschritten werden. Ein brutales Foul im Fußball kann den Tatbestand der Körperverletzung erfüllen. Dann wird der Bereich der sportspezifischen Spielregeln verlassen und das Feld des allgemeinen Rechts eröffnet. Das Dopingproblem ist eine ungleich größere Herausforderung. Ein Sportgerichtsurteil, das ein Berufungsverbot verhängt, kollidiert letztlich mit Artikel 12 des Grundgesetzes, dem Recht auf Berufsfreiheit. Problematisch wird dies vor allem dann, wenn die Faktenlage nicht eindeutig ist. Angesichts des so wichtigen wie richtigen indirekten Beweises wird dies in Zukunft wohl oft der Fall sein. 

Anwaltskammern zum Beispiel dürfen zwar auch Berufsverbote aussprechen, aber: „Das Berufsrecht der Anwälte beruht auf einem Gesetz des Bundes“, wie Marius Breucker sagt. Im Sport fehlen derart strenge rechtsstaatliche Vorgaben. Es sei angesichts der Komplexität der Verfahren an der Zeit zu definieren, was der Sport autonom entscheiden solle und könne und was nicht, sagt der Jurist. Schon vor der Causa Pechstein gab es immer wieder Kritik am CAS als Schiedsgericht, einer an und für sich grundsätzlich sinnvollen Einrichtung. Eine zu große Nähe zu den Verbänden wird dem Gremium unterstellt, eine politisch gefärbte Rechtsprechung. In Lausanne verwehrt man sich mit Nachdruck gegen solche Unterstellungen. […]

Vielleicht, sagt Marius Breucker, braucht der Sport gerade um autonom zu bleiben, den Mut, sich bei Gerichtsverfahren mit schwerwiegenden Sanktionen der Erfahrung und Expertise sportfremder Einrichtungen zu bedienen. Das 2008 errichtete Deutsche Sportschiedsgericht siedelte zum Beispiel unter dem Dach der etablierten Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit an und nutzt deren gewachsene Struktur und Kompetenz. 

Claudia Pechstein sagt, dass sie zur Not vor den Europäischen Gerichtshof zieht. 


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