Beratungspflichten des Versicherungsvertreters beim Versicherungswechsel

eingestellt am 22.04.2022

Beratungspflichten des Versicherungsvertreters beim Versicherungswechsel

 

Saarländisches OLG, Urteil vom 24.11.2021 – 5 U 20/19 -

 

Die Beratungspflichten des Versicherungsvertreters beim Versicherungswechsel sind komplex. Deutlich zeigt dies ein aktuelles Urteil des Saarländischen Oberlandesgerichts, bei dem es um den Abschluss eines Vertrages zur Absicherung schwerer Krankheiten oder Unfälle bei gleichzeitiger Kündigung einer vorbestehenden Berufsunfähigkeitsversicherung ging. Auch und insbesondere eine nicht erfolgte Dokumentation war hier für den Versicherungsvertreter schädlich.

 

Nachfolgend aus den Entscheidungsgründen des Urteils:

„Der Beklagte haftet dem Kläger dem Grunde nach auf Ersatz der Schäden, die dem Kläger durch die Kündigung des Vertrages über eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Württembergischen entstanden sind oder entstehen (werden). Diese Kündigung beruhte auf einer fehlerhaften Beratung durch den Beklagten, was diesen gemäß § 61, § 63 VVG zum Schadenersatz verpflichtet.

(1)

Nach den vom Kläger vorgelegten Versicherungsbedingungen unterhielt dieser bei der Württembergischen Lebensversicherung AG einen Versicherungsvertrag, der Berufsunfähigkeit nicht nur in berufsbezogener Weise schützte, sondern die – marktübliche – Klausel enthielt, nach der es für die Leistungspflicht des Versicherers auf eine Berufsunfähigkeit „im bei Eintritt des Versicherungsfalles zuletzt ausgeübten Beruf“ ankommt. Folglich gefährdete der Berufswechsel des Klägers nach Abschluss des Versicherungsvertrages – entgegen der von dem Beklagten noch im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16. Oktober 2019 vor dem Senat geäußerten Auffassung – seinen vorhandenen Versicherungsschutz nicht. Auch war dieser Vertrag, wie sich aus dem Schreiben des Versicherers vom 10. April 2014 (Anlage K18, Bl. 265 d. A.) ergibt, lediglich vorübergehend für ein halbes Jahr beitragsfrei gestellt, weshalb der Versicherer nicht dauerhaft leistungsfrei war. Denn nach § 10 Abs. 5 der für diesen Vertrag geltenden Bedingungen (Bl. 239 d. A.) hatte der Kläger die Möglichkeit, im Falle vorübergehender Zahlungsschwierigkeiten den Versicherungsschutz bis zur Höhe des vor der Beitragsfreistellung geltenden Schutzes weiterzuführen, dies sogar bei einer Beitragsfreistellung von bis zu drei Jahren. Mithin verfügte der Kläger zum Zeitpunkt der Beratung durch den Beklagten über – unstreitig nicht anfechtbaren – Versicherungsschutz aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Er musste lediglich die Zahlung der Beiträge in Höhe von monatlich 103,98 € wieder aufnehmen.

(2)

In dieser Situation hat der Beklagte den Kläger falsch beraten.

(a)

Der Beklagte war Versicherungsvermittler im Sinne von § 61 Abs. 1, § 59 VVG. Er war als Ausschließlichkeitsvertreter für die ... Versicherung AG tätig und demnach ein Versicherungsvertreter, der von einem Versicherer damit betraut ist, gewerbsmäßig Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen (§ 59 Abs. 2 VVG; vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2014 – III ZR 544/13, BGHZ 203, 174). Er hatte gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 VVG den Kläger, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Klägers und dessen Situation hierfür Anlass bestand, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Bei einem – auch hier in Rede stehenden – beabsichtigten Versichererwechsel und der Kündigung des Vertrags beim bisherigen Mitbewerber in einem – wie hier – existenziell bedeutsamen Bereich, in dem Versicherungsschutz insbesondere wegen des Erfordernisses einer Gesundheitsprüfung nicht ohne weiteres erlangt werden kann, sind die an den Vermittler gestellten Anforderungen an eine sachgerechte Aufklärung und Beratung besonders hoch. Er hat zu beachten, dass der Versicherungsnehmer in der Regel weder eine Deckungslücke noch eine Verschlechterung des Versicherungsschutzes in Kauf nehmen will (Senat, Urteil vom 26. April 2017 – 5 U 36/16, VersR 2018, 480; OLG München, VersR 2012, 1292; siehe auch Münkel, jurisPR-VersR 4/2011, Anm. 3 zu OLG Hamm, Urteil vom 10. Juni 2010 – 18 U 154/09).

(b)

Diesen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung des Klägers hat der Beklagte nicht genügt.

(aa)

Nach dem Vorbringen der Parteien und den eigenen Angaben des Beklagten vor dem Senat hat der Beklagte den Kläger bereits dadurch grundlegend falsch beraten, indem er ihm erklärte, die bestehende Versicherung bei der Württembergischen sei für ihn wegen seines Berufswechsels wertlos. Dies war für den Kläger die entscheidende Information, die zur Änderung der Vertragsverhältnisse in der Folgezeit führte. Es leuchtet dem Senat ohne weiteres ein, dass der Kläger seinen Berufsunfähigkeitsversicherungsschutz nicht gefährden wollte und nach der Überwindung seiner Zahlungsschwierigkeiten den früheren Vertrag fortgesetzt hätte, wenn er nicht von dem Beklagten falsch beraten worden wäre. Der Kläger hat die von vornherein auf sechs Monate begrenzte Beitragsfreistellung nachvollziehbar mit vorübergehenden Zahlungsschwierigkeiten begründet, die bei dem Beratungsgespräch mit dem Beklagten bereits nicht mehr bestanden hätten. Auch wenn die Prämie für den von dem Beklagten vermittelten Vertrag deutlich niedriger war (39,50 Euro statt 103,98 Euro), wäre es schwer verständlich, warum der Kläger den bestehenden Berufsfähigkeitsversicherungsvertrag aufgeben und stattdessen den von dem Beklagten vermittelten Versicherungsvertrag, der insoweit keinen Versicherungsschutz bot, abschließen sollte – zumal dies wegen der Vorerkrankungen wirksam überhaupt nicht möglich war.

Der Beklagte hat auch nicht behauptet, der Kläger habe sich an ihn gewandt, weil er die Beiträge des Vertrages bei der Württembergischen nicht mehr tragen konnte. Vielmehr hat der Beklagte selbst vorgetragen, er habe dem Kläger gesagt, dieser müsse seine Versicherung auf den Beruf des Dachdeckers „umschreiben“, was zu stark erhöhten Beiträgen geführt hätte und was dem Kläger dann zu teuer gewesen wäre. Mithin behauptet der Beklagte selbst nicht, dass dem Kläger die aktuellen Beiträge – mit denen Versicherungsschutz auch für den Beruf als Dachdecker bestand – zu hoch waren.

(bb)

Eine Falschberatung des Klägers durch den Beklagten wird darüber hinaus vorliegend auch deshalb vermutet, weil eine Beratungsdokumentation nicht existiert. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Beklagte eingeräumt, die Unterschrift des Klägers unter die vorgelegte Beratungsdokumentation (Anlage K6 im Anlagenband Kläger) selbst geschrieben zu haben. Mithin fehlt es an einer vom Kläger unterschriebenen Dokumentation darüber, dass der Beklagte dem Kläger die Folgen des Versicherungswechsels hinreichend verdeutlicht hat.

Die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht des Versicherungsvermittlers nach § 61 Abs. 1 Satz 2, § 62 VVG kann Beweiserleichterungen zu Gunsten des Versicherungsnehmers bis hin zu einer Beweislastumkehr nach sich ziehen (BGH, Urteil vom 13. November 2014 – III ZR 544/13, VersR 2015, 107 Rz. 18; Urteil vom 25. September 2014 – III ZR 440/13, VersR 2014, 1328, Rz. 34 mwN.). Die Funktion dieser Dokumentationspflicht liegt vornehmlich darin, dass dem Versicherungsnehmer durch die Beratungsdokumentation die wesentlichen Inhalte der Beratung vor Augen geführt werden und er dadurch in die Lage versetzt wird, seine Entscheidung des Näheren zu überprüfen und den ihm sonst kaum möglichen Nachweis über den Inhalt der Beratung zu führen. Wird ihm diese Nachweismöglichkeit durch das Fehlen einer Dokumentation abgeschnitten, so hat dies zu seinen Gunsten Auswirkungen auf die Verteilung der Beweislast. Ist ein erforderlicher Hinweis von wesentlicher Bedeutung – wie er auch hier in Rede steht – nicht, auch nicht im Ansatz, dokumentiert worden, so muss grundsätzlich der Versicherungsvermittler beweisen, dass dieser Hinweis erteilt worden ist (BGH, Urteil vom 13. November 2014 – III ZR 544/13, aaO.; Senat, Urteil vom 26. Juni 2019 – 5 U 89/18, VersR 2020, 19 Rz. 63; Urteil vom 4. Mai 2011 – 5 U 502/10, VersR 2011, 1441; Urteil vom 27. Januar 2010 – 5 U 337/09-82, VersR 2010, 1181; OLG München, VersR 2012, 1292). Gelingt ihm dieser Beweis nicht, so ist zu Gunsten des Versicherungsnehmers davon auszugehen, dass der betreffende Hinweis nicht erteilt worden ist, der Versicherungsvermittler mithin pflichtwidrig gehandelt hat. Diese Vermutung hat der Beklagte nicht widerlegt.“

(Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 24. November 2021 – 5 U 20/19 – )

 

 

Stuttgart, den 22.04.2022

 

Oliver Renner

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

 

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