
BGH zur nachträglichen Änderung der Schlussrechnung im Bauvertrag
Fehlerhafte und unvollständige Schlussrechnungen stehen häufig der erfolgreichen Durchsetzung von Werklohnforderungen im Weg; insbesondere nach Kündigung des Werkvertrages stellt die Erstellung der Schlussrechnung die Werkunternehmer oft vor erhebliche Probleme.
Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt in der Rechtssache VII ZR 191/23 vom 22.11.2024 klar, dass eine Partei ihre Schlussrechnung auch noch im Laufe des Rechtsstreits ändern kann. Sie kann also ihre Schlussrechnung während des Prozesses korrigieren, auch wenn die geänderte Schlussrechnung zu der zunächst vorgelegten in Widerspruch steht.
Zuvor hatte das Kammergericht Berlin einer im Laufe des Verfahrens geänderten Schlussrechnung die Prüffähigkeit abgesprochen und dies damit begründet, der klagende Werkunternehmer hätte den Grund der Änderung der Schlussrechnung nachweisen müssen und habe einen dahingehenden Beweis nicht angetreten. Der BGH entschied, dass dieses Vorgehen den Werkunternehmer in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletze.
Bild von sophiavangoethem99 auf Pixabay
Klage der Bauunternehmerin auf Restwerklohn
Die klagende Bauunternehmerin machte mit ihrer Klage Restwerklohn aus einem gekündigten Bauvertrag geltend. Sie zog dabei einen Pauschalbetrag für nicht erbrachte Leistungen eines Nachunternehmers ab, der seine Leistungen aufgrund der Kündigung nicht mehr erbringen musste.
Der beklagte Auftraggeber wandte – wie so oft – die fehlende Prüffähigkeit der Schlussrechnung ein. Er berief sich darauf, dass der Pauschlabzug für nicht erbrachte Nachunternehmerleistungen anhand der Abrechnung oder des Aufmaßes nicht nachvollziehbar sei.
Landgericht Berlin: Geänderte Schlussrechnung – keine Prüffähigkeit
Auf den Hinweis des Landgerichts in der mündlichen Verhandlung, die Prüffähigkeit der Schlussrechnung begegne Bedenken, legte die Bauunternehmerin eine zweite Schlussrechnung vor. In dieser verzichtete sie auf den Pauschalabzug für die nicht erbrachte Leistung des Nachunternehmers. Die geänderte Schlussrechnung war also um den Betrag des ursprünglichen Abzugspostens höher als die ursprüngliche. Im Übrigen stimmte die geänderte Schlussrechnung vollständig mit der ersten überein.
Die Klägerin berief sich darauf, die geänderte Schlussrechnung entspreche den vorgelegten Aufmaßprotokollen und den erbrachten Leistungen und bot Beweis durch Sachverständigengutachten an.
Zum ursprünglich vorgenommenen Pauschalabzug trug sie vor, es habe sich aufgrund der Kündigung nicht mehr erbrachte Teilleistungen der Nachunternehmerin gehandelt. Dieses Vorbringen korrigierte sie in der geänderten Schlussrechnung dahin, dass es sich um einen vereinbarten Nachlass der Nachunternehmerin gegenüber der Klägerin gehandelt hatte, der nur zum Tragen gekommen wäre, wenn der Beklagte seinerseits sofort auf die Schlussrechnung der Klägerin gezahlt hätte („skontogleicher Verzicht bei schneller Zahlung“). Diesen Nachlass habe die Klägerin unter der mündlichen Abrede der sofortigen Zahlung an den Beklagten weitergereicht. Da eine schnelle Zahlung der Beklagten an die Klägerin nicht erfolgte, sei der Tatbestand der Abrede nicht erfüllt. Der Beklagte bestritt diese Behauptung.
Für die streitige Tatsache, dass der skontogleiche Verzicht bei schneller Zahlung zwischen den Parteien bestand, verzichtete die Klägerin auf einen Beweisantritt durch Zeugnis der Nachunternehmerin.
Das Landgericht ging dem angebotenen Sachverständigenbeweis der Klägerin nicht nach und wies die Klage mangels prüffähiger Schlussrechnung als derzeit unbegründet ab.
Kammergericht Berlin: Keine Prüffähigkeit – Beweisfälligkeit
Das Berufungsgericht wies die Klage mit der Begründung zurück, dass es an einer prüffähigen Schlussrechnung fehle.
Die Klägerin hätte darlegen müssen, welche der in der ersten Schlussrechnung aufgeführten Leistungen nicht erbracht worden seien. Die Klägerin sei für ihren neuen Vortrag, nämlich der Vereinbarung eines weitergereichten skontogleichen Nachlasses der Nachunternehmerin, beweisfällig geblieben. Die streitige Frage der Ausführung der Arbeiten könne allein durch ein Aufmaß nicht geklärt werden; ein Zeugnis sei nicht angeboten worden.
Bild von Marc Vanduffel auf Pixabay
Bundesgerichtshof: Widersprüche im Vortrag als Gegenstand der Beweiswürdigung
Der BGH hob die Entscheidung des Berufungsgerichts am 20.11.2024 auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück.
Das Berufungsurteil des Kammergerichts verletze den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs, indem es – wegen Widerspruchs zu früherem Vortrag – den bestrittenen Vortrag zur zweiten Schlussrechnung, es seien nur erbrachte Leistungen enthalten, für unbeachtlich hält, einen Beweis für den behaupteten Grund des Vortragswechsels fordert und das Beweisangebot der Klägerin zum neuen Vortrag übergeht. Es sei klar, dass eine Partei grundsätzlich nicht gehindert ist, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen.
Widersprüche, die sich aus der Änderung des Vortrags ergeben, dürfen erst im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden. Daraus ergibt sich, dass das Gericht ein (erhebliches) Beweisangebot nicht bereits wegen vermeintlicher Widersprüche im Vortrag ignorieren kann.
Ein solches Vorgehen verstoße gegen das rechtliche Gehör der beweisbelasteten Partei, da es auf eine prozessual unzulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung hinausliefe:
[…] das Berufungsgericht [hat] den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es für den von seinem Rechtsstandpunkt aus entscheidungserheblichen bestrittenen Vortrag der Klägerin, die zweite Schlussrechnung umfasse nur erbrachte Leistungen, den angebotenen Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens übergangen hat. Das Gericht muss aber, auch wenn es in einem solchen Vortrag einen Widerspruch zu früherem Vortrag sieht, dem angebotenen Beweis nachgehen und kann den Widerspruch sowie den Vortragswechsel erst im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigen. Es darf demgegenüber nicht zunächst eine Beweisführung für die behaupteten Gründe des Vortragswechsels verlangen und den angebotenen Beweis für den neuen Vortrag – mangels Beweisangebots für die behaupteten Gründe des Vortragswechsels – übergehen.
(BGH Beschl. v. 20.11.2024 – VII ZR 191/23, BeckRS 2024, 35585 Rn. 12, beck-online)
Prüffähigkeit: inhaltliche Richtigkeit oder Abweichung von früheren Rechnungen unerheblich
Zur Prüffähigkeit der Schlussrechnung wies der BGH das Berufungsgericht vorsorglich darauf hin, dass für die Prüffähigkeit einer Schlussrechnung deren inhaltliche Richtigkeit oder eine Abweichung von früheren Rechnungen unerheblich seien.
LG Berlin, Entscheidung vom 09.12.2021 – 32 O 252/18 –
KG Berlin, Entscheidung vom 12.10.2023 – 27 U 6/22 -
BGH, Beschluss vom 20.11.2024 – VII ZR 191/23