DOSB-Experten-Kommission widerspricht Dopingthese im Fall Pechstein

Veröffentlicht am 30.01.2015

DOSB-Experten-Kommission widerspricht Dopingthese im Fall Pechstein
Eine vom Deutschen Olympischen Sport-Bund (DOSB) im Oktober 2014 eingesetzte Experten-Kommission unter Leitung von Professor Wolfgang Jelkmann von der Universität Lübeck gab das Ergebnis der Untersuchungen zu den Dopingvorwürfen des Internationalen Eisschnelllaufverbandes (ISU) gegen die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein bekannt. Demnach kommen fünf unabhängige Gutachter jeweils in ihren Expertisen zu dem Ergebnis, dass die erhöhten Werte von jungen roten Blutkörperchen (Retikulotzyten) bei Claudia Pechstein nicht den Schluss auf Doping zulassen. Die International Skating Union (ISU) hatte Pechstein im Jahr 2009 wegen erhöhter Retikulotzytenwerte für zwei Jahre gesperrt.

Die Disziplinar-Kommission der ISU war davon ausgegangen, dass Claudia Pechstein ihre Unschuld beweisen müsse. Dies war unzutreffend: Nach dem Grundsatz der „Strict Liability“ muss ein Athlet sich dann entlasten, wenn eine verbotene Substanz in seinem Körper gefunden wurde. Das war bei Pechstein nicht der Fall. Vielmehr bildeten die erhöhten Retikulotzyten lediglich ein Indiz dafür, dass eine Blutmanipulation mit verbotenen Stoffen, etwa mit Erythropoietin (EPO) vorliegen könnte. „Ein auffälliger Blutwert ist keine verbotene Substanz und führt daher nicht zur Umkehr der Beweislast“, erläutert Rechtsanwalt Marius Breucker aus der Stuttgarter Sportrechtskanzlei Wüterich Breucker. Der Grundsatz der „Strict Liability“ rechtfertigt sich daraus, dass im Körper des Athleten tatsächlich eine verbotene Substanz gefunden wird. „In dieser Situation erscheint es legitim, dem Sportler die Pflicht aufzugeben, diesen Umstand zu erklären“, sagt Marius Breucker, der sich seit Jahren im Anti-Doping-Kampf, unter anderem als Vertreter der Welt Anti-Doping Agentur (WADA) engagiert und der im Verfahren den deutschen Verband vertreten hatte. Wenn es aber am Befund einer verbotenen Substanz fehlt, bleibt es bei dem Grundsatz, dass der Verband als Kläger den vollen Dopingnachweis führen muss. Der Rechtsirrtum der ISU-Disziplinar-Kommission wirkte sich für Pechstein fatal aus: Hätte die Kommission die Beweislast richtig eingeschätzt, wäre die ISU verpflichtet gewesen, den vollen Nachweis des Dopings zu führen. Dies wäre ihr nach Auffassung der Experten-Kommission unter medizinisch-wissenschaftlichen Gesichtspunkten nicht gelungen.


Zeitung-Sport

"Klären, wo der Fehler im System lag"



In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 30. Januar 2015 stellt Anno Hecker unter der Überschrift „Systemfehler“ die Frage: „Wie konnte es zum Fehlurteil bei der Bewertung von Pechsteins Blutwert kommen?“ Er weist zugleich auf die damals schon bekannten „Guidelines“ der WADA hin, die einen einzelnen Blutwert als Indiz für Doping nicht ausreichen ließen: „Außerdem musste dem Verband so wie dem CAS bekannt gewesen sein, dass ein einzelner Blutwert als Grundlage für eine Verurteilung über den „indirekten Beweis“ nicht dem wissenschaftlichen Standpunkt entsprach. Das wurde in der Welt Anti-Doping Agentur längst diskutiert, als die Damen und Herren zu Gericht saßen. Wenige Tage nach der Bestätigung des Urteils durch das CAS traten neue, wesentlich verschärftere Bedingungen in Kraft. Vor diesem Hintergrund sollten sich ISU und CAS nicht nur über ein Fehlurteil grämen. Sie haben auch die Pflicht, öffentlich zu klären, wo der Fehler im System lag.“




Anwalt Marius Breucker: "Dopingsperren nur auf verlässlicher Grundlage"



Schlussfolgerungen für künftige Verfahren zieht auch Anwalt Marius Breucker: „Es ist für die Legitimation des Dopingkampfes von zentraler Bedeutung, dass Verurteilungen nur auf verlässlicher Grundlage erfolgen“. Eine Dopingsperre sollte nur ausgesprochen werden, wenn - wie im deutschen Zivilprozess – keine vernünftigen Zweifel bestehen. Der Beweismaßstab einer bloß "hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ („comfortable satisfaction“), wie ihn der Welt Anti-Doping Code vorsieht, erscheint vor diesem Hintergrund fraglich. Umgekehrt darf der Fall Pechstein nicht dazu führen, die Anforderungen an den Dopingnachweis zu überspitzen. Entscheidend ist immer die Überzeugungsbildung des Schiedsgerichts im Einzelfall. „Der Beweismaßstab sollte klar und eindeutig sein, so dass sich das Verfahren innerhalb berechenbarer Leitplanken abspielt“, so Marius Breucker.


In einem Zwischenurteil hatte das Oberlandesgericht München die Zulässigkeit der Schadensersatzklage von Claudia Pechstein gegen die ISU bejaht. Hierzu sprach Astrid Rawohl im Deutschlandfunk mit Rechtsanwalt Dr. Marius Breucker:

http://www.kooperationsportrecht.de/beitrag_dlf.htm