Kündigungsschutzklagen nach Pleite der City BKK

eingestellt am 27.06.2011


Schließung der City BKK zum 1.7.2011


Für die ordentlich kündbaren Beschäftigten ist die Rechtslage scheinbar eindeutig: §§ 155 IV 9, 164 IV1 SGB V ordnen die Beendigung deren Arbeitsverhältnisse „mit dem Tage der Schließung“ an. Die im Wortlaut unmissverständliche Regelung erweist sich bei näherer Betrachtung als Quell von Unstimmigkeiten und veranlasste Arbeitnehmer zur Klage gegen den Schließungsbescheid.

Die Folgen der Auflösung einer Innungskrankenkasse für die Beschäftigten hat der Gesetzgeber detailliert geregelt. § 163 III 3 SGB V sieht ein so genanntes Unterbringungsverfahren vor. Danach sollen auch die „übrigen“ Angestellten – also alle, die nicht einen beamtenähnlichen Status haben –  ein Angebot einer „Stellung“ erhalten, die ihnen „zuzumuten“ ist. Durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisations-strukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung („GKV-OrgWG”) führte der Gesetzgeber gar eine Ver-pflichtung der verbliebenen Kassen zum Angebot von Stellungen „entsprechend ihrem Anteil an der Zahl der Versicherten“ ein, § 164 III 4, 1. HS SGB V. Die nach dem gesetzgeberischen Willen „erfolgreichen“ Krankenkassen könnten es so erreichen, dass erfolglose Kassen verschwinden. Allerdings bezahlt der erfolgreiche Wettbewerber hierfür einen hohen Preis: Er kommt nicht nur nach §§ 164 I, 155 I–IV SGB V für die Schließungskosten auf, sondern ist zudem verpflichtet, die Beschäftigten mit einer bereits festgelegten Anzahl an An-geboten neuer Beschäftigungsverhältnisse zu versorgen. Freier Wettbewerb sieht anders aus!

Für die Betriebskrankenkassen und deren Beschäftigte ordnet § 155 IV 9 SGB V eine Abweichung von dem in § 164 III 3 SGB V geregelten Unterbringungsverfahren an. Ordentlich kündbare Arbeitnehmer sollen nicht an einem Unterbringungsverfahren teilnehmen. Eine Unterscheidung zwischen ordentlich kündbaren und un-kündbaren Arbeitnehmern entspricht im Fall einer Betriebsstilllegung im Grunde der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, NZA 1998, 771). Die Be-triebsstilllegung ist kein wichtiger Grund zur Beendi-gung ordentlich unkündbarer Arbeitsverhältnisse durch eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB (BAG, NZA 2002, 963; NZA 2005, 1289). Entfällt der Arbeitsplatz eines unkündbaren Arbeitnehmers auf Grund Betriebsstilllegung, so hat ihm der Arbeitgeber zunächst ein konkretes Vertragsangebot (BAG, NZA 2009, 679) zum anderweitigen Einsatz gegebenenfalls auch in einem anderen Betrieb des Unternehmens zu unterbreiten (BAGE 46, 206 = NJW 1985, 1238). Erst auf diese „letzte Alternative“ folgt eine mögliche Been-digungskündigung mit Auslauffrist. Diese entspricht re-gelmäßig der Kündigungsfrist, die gelten würde, wenn das ordentliche Kündigungsrecht nicht ausgeschlossen wäre (BAG, NJW 1985, 2606). Im Ergebnis sollen für ordentlich unkündbare Beschäftigte „erhöhte Anforderungen an den Ausschluss einer anderweitigen Be-schäftigungsmöglichkeit“ bestehen (Preis, in: FS 100 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit, S. 245 [250]).

Die Differenzierung zwischen ordentlich Kündbaren und Unkündbaren in § 155 IV Satz 9 SGB V überzeugt dennoch nicht. Die Einführung des § 155 IV SGB V beruht auf Art. 1 Nr. 3 b GKV-OrgWG. In der Begründung zum Entwurf heißt es: „Durch die entsprechende Anwendung des § 164 II–IV SGB V werden auch im Bereich der Betriebskrankenkassen die Beschäftigungsansprüche […] der übrigen Beschäftigten in unkündbaren Arbeitsverhältnissen insoweit gesichert, als ihnen bei den anderen Betriebskrankenkassen eine ihrer bisherigen Stellung entsprechende Stelle anzubieten ist. Die Rechtsposition dieser Beschäftigten wird hierdurch entsprechend den vorhandenen Regelungen für Orts- und Innungskrankenkassen gesichert, wie es als Folge von kassenartübergreifenden Fusionen bereits in § 171 a SGB V geregelt ist“ (BR-Dr 342/08, S. 21). § 171 a SGB V differenziert jedoch nicht nach ordentlich kündbaren und unkündbaren Arbeitnehmern, sondern ver-weist auf Regelungen zur Gesamtrechtsnachfolge nach freiwilligem Zusammenschluss in § 144 SGB V und auf – die ebenfalls nicht differenzierenden – Regelungen des § 164 II–V SGB V.  Die als Ziel ausgegebene „entsprechende Behandlung“ hat der Gesetzgeber nicht er-reicht.

Über die Motive kann nur spekuliert werden. Es liegt auf Grund knapper Kassen und der Intention des Gesetzgebers, ein effizienteres und billigeres Gesundheitssystem zu schaffen, nahe, dass das Unterbringungsverfahren für die ordentlich kündbaren Mitarbeiter schlicht eingespart werden sollte. Die hierdurch entstandene Rechtsunsicherheit führt jedoch zu Folgekosten durch nun anhängige Rechtsstreite. Der Gesetzgeber versuchte durch das GKV-OrgWG wirtschaftliche Wettbewerbsstrukturen in ein von Solidarität und Kontinuität geprägtes System einzuführen. Wenn die Einnahmen der Wettbewerber aus Beiträgen und Steuergeldern bestehen, scheint ein Wettbewerb auf der Einnahmenseite nahezu ausgeschlossen zu sein. Der Wettbewerb auf der Ausgabenseite ist dem Vernehmen nach ungleich – auf Grund der unterschiedlichen Zusammensetzung der Versicherten und des am Durchschnitt orientierten Risikostrukturausgleichs. Besteht eine Kasse unter diesen Gegebenheiten nicht, so kann die Konsequenz einer „Pleite“ aus gutem Grund nicht eintreten. Leistungserbringer und Versicherte sind Gläubiger, deren Forderungen nicht ausfallen dürfen. Diese Vorgabe hindert den Wettbewerb und bestraft die „erfolgreichen“ Kassen. Bei den arbeitsrechtlichen Folgen einer Schließung wird deutlich, dass der Gesetzgeber sein Ziel der Wettbewerbsstärkung im sozialrechtlich geprägten Gesundheitssystem bislang verfehlt hat und die Verzahnung von Sozial-, Insolvenz- und Arbeitsrecht mangelhaft ist.
Wettbewerb sieht anders aus, Rechtssicherheit auch!


Rechtsanwalt Dr. Peter Heink, Stuttgart

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