Unzulässige Befristung von Lehrern/Lehrerinnen*

eingestellt am 18.01.2022

Unzulässige Befristung von Lehrern/Lehrerinnen*

 

EuGH, Urteil vom 13.01.2022 – C-282/19 –

 

Der Europäische Gerichtshof hat am 13.01.2022 (Aktenzeichen: C – 282/19) entschieden, dass bei befristeten Lehrkräften im Fach Religion das Erfordernis eines von einer kirchlichen Stelle ausgestellten Beschäftigungsnachweises alleine keinen sachlichen Grund für eine Befristung darstellt.

 

Die Frage, ob und wann Befristungen bei Lehrverträgen zulässig sind ist sowohl tatsächlich als auch rechtlich umstritten. Es hängt immer vom Einzelfall ab, der zu prüfen ist.

 

Bei einer sogenannten zeitkongruenten Befristung für einen konkreten Vertretungsfall sind die Chancen für einen unbefristeten Vertrag gering.

 

Ob eine rechtsmissbräuchliche Befristung vorliegt hängt vom Einzelfall ab. Von besonderer Bedeutung sind die Gesamtdauer der befristeten Verträge sowie die Anzahl der Vertragsverlängerungen.

 

Ferner ist der Umstand zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer stets auf demselben Arbeitsplatz mit denselben Aufgaben beschäftigt wurde oder ob es sich um wechselnde, ganz unterschiedliche Aufgaben handelt.

 

Bei zunehmender Anzahl befristeter Verträge und Dauer der befristeten Beschäftigung eines Arbeitnehmers kann es eine missbräuchliche Ausnutzung der dem Arbeitgeber an sich rechtlich eröffneten Befristungsmöglichkeit darstellen, wenn er gegenüber einem bereits langjährig beschäftigten Arbeitnehmer trotz der tatsächlich vorhandenen Möglichkeit einer dauerhaften Einstellung immer wieder auf befristete Verträge zurückgreift (BAG 19. Februar 2014 - 7 AZR 260/12 - Rn. 36 mwN).

 

Zu berücksichtigen ist außerdem, ob die Laufzeit der Verträge zeitlich hinter dem prognostizierten Vertretungsbedarf zurückbleibt (BAG 18. Juli 2012 - 7 AZR 443/09 - Rn. 46, aaO).

 

Bei der Gesamtwürdigung können daneben weitere Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Zu denken ist dabei etwa an die Zahl und Dauer von Unterbrechungen zwischen den befristeten Verträgen (BAG 10. Juli 2013 - 7 AZR 761/11 - Rn. 27). Bei der Gesamtbeurteilung ist die Übereinstimmung von Befristungsgrund und Befristungsdauer als Indiz gegen einen Gestaltungsmissbrauch zu berücksichtigen. Daneben können grundrechtlich gewährleistete Freiheiten von Bedeutung sein (BAG 29. April 2015 - 7 AZR 310/13 - Rn. 25; 24. September 2014 - 7 AZR 987/12 - Rn. 38; 19. Februar 2014 - 7 AZR 260/12 - Rn. 36; 18. Juli 2012 - 7 AZR 443/09 - Rn. 47, aaO).

 

Außerdem sind die besonderen Anforderungen der in Rede stehenden Branchen und/oder Arbeitnehmerkategorien zu berücksichtigen, sofern dies objektiv gerechtfertigt ist (EuGH 26. Februar 2015 - C-238/14 - [Kommission/Luxemburg] Rn. 40).

 

Der Schulbereich zeugt von der Notwendigkeit besonderer Flexibilität, die den Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge erforderlich macht (vgl. BAG, Urteil vom 07. Oktober 2015 - 7 AZR 944/13 -, Rn. 15, juris).

 

In der Sache handelt es sich daher um eine Tatfrage. Rechtlich nicht beanstandet hat hierbei das Bundesarbeitsgericht eine Würdigung, wonach ein Landesarbeitsgericht eine rechtsmissbräuchliche Befristung angenommen hat.

 

Nachfolgend das Bundesarbeitsgericht:

 

„2. Nach diesen Grundsätzen hat das Landesarbeitsgericht zu Recht eine rechtsmissbräuchliche Vertragsgestaltung angenommen.

 

a) Zugunsten des beklagten Landes kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger erst seit dem 22. September 2004 aufgrund aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge beschäftigt wurde und die ersten drei befristeten Arbeitsverträge in der Zeit vom 9. Dezember 2002 bis zum 2. April 2004 wegen der anschließenden Unterbrechung nicht in die Missbrauchskontrolle einzubeziehen sind. Nicht erheblich ist dagegen nach der zutreffenden Annahme des Landesarbeitsgerichts die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses in der Zeit vom 7. Juli 2005 bis zum 23. August 2005, bei der es sich im Wesentlichen um die Schulferien handelte.

 

b) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass unter Zugrundelegung einer fortlaufenden Beschäftigung seit dem 22. September 2004 ein institutioneller Rechtsmissbrauch indiziert ist. Dies gilt bereits aufgrund der Anzahl der befristeten Arbeitsverträge, die das Fünffache der in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG vorgesehenen Verlängerungsmöglichkeit überschreitet. Die Parteien haben in dieser Zeit 19 berücksichtigungsfähige aufeinanderfolgende Arbeitsverträge geschlossen. Die für die Zeit vom 22. September 2004 bis zum 31. Mai 2005 sowie vom 24. August 2005 bis zum 23. Juni 2006 vereinbarten Vertragsverlängerungen sind nicht mitzuzählen, da sie sich zeitlich weitgehend mit anderen befristeten Arbeitsverträgen überschneiden. Ebenso wenig ist der Arbeitsvertrag vom 5. September 2012 zu berücksichtigen, da mit ihm lediglich die Arbeitszeit des Klägers aufgestockt wurde. Eine rechtsmissbräuchliche Vertragsgestaltung ist zudem aufgrund der Gesamtdauer der befristeten Arbeitsverträge seit dem 22. September 2004 von etwa 9,5 Jahren und der Anzahl der Vertragsverlängerungen indiziert, weil die gesetzlichen Werte des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG jeweils um mehr als das Vierfache überschritten sind.

 

c) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das beklagte Land habe die Indizwirkung nicht durch Darlegung besonderer Umstände entkräftet, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

 

aa) Grundsätzlich obliegt die Beurteilung, ob die Berufung auf einen Sachgrund nach § 242 BGB rechtsmissbräuchlich ist, den Gerichten der Tatsacheninstanzen. Diese tatrichterliche Würdigung ist revisionsrechtlich nur eingeschränkt darauf zu überprüfen, ob das Landesarbeitsgericht von den zutreffenden Voraussetzungen eines institutionellen Rechtsmissbrauchs ausgegangen ist, ob es alle erheblichen Gesichtspunkte widerspruchsfrei berücksichtigt hat und ob die Bewertung dieser Gesichtspunkte von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen wird (vgl. zum eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab: BAG 15. Dezember 2016 - 6 AZR 578/15 - Rn. 15; 10. Mai 2016 - 9 AZR 145/15 - Rn. 34).

 

bb) Dieser eingeschränkten Überprüfung hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts stand.

 

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die fehlende Lehramtsbefähigung des Klägers sei nicht geeignet, den indizierten Rechtsmissbrauch zu widerlegen. Hierbei handele es sich um einen Umstand, der weder für noch gegen einen Rechtsmissbrauch spreche. Deshalb sei es auch unerheblich, ob sich der Kläger auf unbefristete Stellen für sog. „Seiteneinsteiger“ beworben habe. Auch dass das beklagte Land nicht verpflichtet sei, eine Personalreserve vorzuhalten, widerlege den Rechtsmissbrauch vorliegend nicht. Obwohl eine solche Pflicht nicht bestehe, könne ein Rechtsmissbrauch vorliegen, wenn der Arbeitgeber durch die Gestaltung der Vertretungsverhältnisse de facto eine Personalreserve vorhalte. Davon sei vorliegend auszugehen, was sich insbesondere daraus ergebe, dass die Dauer der vereinbarten Vertragslaufzeiten oftmals nicht im Einklang mit dem zugrundeliegenden Sachgrund stünden. Aus den Verträgen sei zu schließen, dass der Kläger für jedweden auftretenden Ausfall eingesetzt und somit als Vertretungsreserve „vorgehalten“ worden sei. Branchenspezifische Besonderheiten im Schulbereich (in jedem Schuljahr erneut auftretender, nicht vorhersehbarer und nicht planbarer Vertretungsbedarf mit unterschiedlichen Fächerkombinationen in unterschiedlichem zeitlichen Umfang) seien vorliegend zu einer Entkräftung des Rechtsmissbrauchs nicht geeignet, da die Vertretung verschiedener Lehrer mit unterschiedlichen Fächerkombinationen 9,5 Jahre lang vom Kläger wahrgenommen worden sei. Haushaltsrechtliche Gesichtspunkte sprächen nicht gegen einen Rechtsmissbrauch. Dieser wurde auch nicht dadurch widerlegt, dass die befristeten Verträge überwiegend zur Elternzeitvertretung geschlossen worden seien.

 

(2) Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

 

Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass sich der Arbeitgeber auf den Sachgrund der Vertretung nicht ohne weiteres berufen kann, wenn der Arbeitnehmer als ständige Personalreserve „vorgehalten“ wird.

 

(aa) Zwar ist der Arbeitgeber grundsätzlich nicht verpflichtet, eine Personalreserve in Form unbefristet beschäftigter Vertretungskräfte vorzuhalten, um Vertretungsfälle abzudecken (EuGH 14. September 2016 - C-16/15 - [Pérez López] Rn. 55 f.; 26. Januar 2012 - C-586/10 - [Kücük] Rn. 54; BAG 24. August 2016 - 7 AZR 41/15 - Rn. 26; 13. Februar 2013 - 7 AZR 225/11 - Rn. 33; 18. Juli 2012 - 7 AZR 443/09 - Rn. 15, BAGE 142, 308). Der Arbeitgeber kann sich jedoch nicht mehr auf den Sachgrund der Vertretung berufen, wenn die fortlaufende befristete Beschäftigung des Arbeitnehmers den Schluss auf einen dauerhaften Bedarf an dessen Beschäftigung zulässt. So verhält es sich, wenn der Arbeitgeber den befristet beschäftigten Arbeitnehmer über Jahre hinweg im Ergebnis als Personalreserve für unterschiedliche Vertretungsfälle einsetzt. Besteht in Wahrheit ein dauerhafter Bedarf an der Beschäftigung, kommt ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande, selbst wenn damit die Gefahr eines zeitweisen Personalüberhangs nicht völlig auszuschließen und bei den Personalplanungen zu berücksichtigen sein mag (vgl. BAG 7. Oktober 2015 - 7 AZR 944/13 - Rn. 15).

 

Diese Grundsätze gelten auch für den Schulbereich. Die Notwendigkeit besonderer Flexibilität kann zwar den wiederholten Rückgriff auf befristete Arbeitsverträge objektiv rechtfertigen, um dem Vertretungsbedarf der Schulen angemessen gerecht zu werden und um zu verhindern, dass der Staat als Arbeitgeber dem Risiko ausgesetzt wird, erheblich mehr feste Lehrkräfte anzustellen, als zur Erfüllung seiner Verpflichtungen auf diesem Gebiet tatsächlich notwendig sind (vgl. EuGH 26. November 2014 - C-22/13 ua. - [Mascolo ua.] Rn. 95). Deshalb muss der Arbeitgeber dem „branchentypisch“ wiederkehrenden, unplanbaren Vertretungsbedarf nicht durch eine Personalreserve begegnen. Allerdings wird auch für den Schulbereich eine weitere Prüfung der Umstände des Einzelfalls verlangt, um einen missbräuchlichen Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge im Sinne des § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung auszuschließen (vgl. EuGH 26. November 2014 - C-22/13 ua. - [Mascolo ua.] Rn. 108).

 

(bb) Das Landesarbeitsgericht hat unter Berücksichtigung der maßgeblichen Umstände angenommen, die mit dem Kläger vorgenommene Vertragsgestaltung spreche dafür, dass ihn das beklagte Land als Personalreserve „vorgehalten“ hat. Der Kläger wurde zur Vertretung mehrerer Stammlehrkräfte beschäftigt, zum Teil zur Vertretung mehrerer Lehrkräfte gleichzeitig. Daraus und aus dem zeitlichen Umfang der Beschäftigung des Klägers, der jedenfalls seit Juni 2007 ganz überwiegend in Vollzeit eingesetzt wurde, hat das Landesarbeitsgericht widerspruchsfrei geschlossen, dass in Wahrheit ein dauerhafter Bedarf an der Beschäftigung des Klägers besteht. Die Rüge des beklagten Landes, das Landesarbeitsgericht habe ohne vorherigen Hinweis Vertretungskonstellationen einer kritischen Analyse unterzogen, greift schon deshalb nicht durch, weil das beklagte Land nicht dargelegt hat, welcher entscheidungserhebliche Vortrag auf einen entsprechenden Hinweis gehalten worden wäre.

 

(b) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es habe ein dauerhafter Beschäftigungsbedarf für den Kläger bestanden, wird entgegen der Auffassung des beklagten Landes nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Kläger nicht stets an derselben Schule, sondern an vier Förderschulen beschäftigt wurde. Diesen Umstand eines wechselnden Einsatzes hat das Landesarbeitsgericht zwar nicht ausdrücklich gewürdigt. Die Beschäftigung an verschiedenen Förderschulen in B und H begründet aber keine Besonderheit, die geeignet sein könnte, die Indizwirkung eines Rechtsmissbrauchs zu entkräften. Vielmehr ist auch in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis die Versetzung einer Lehrkraft an eine andere Schule derselben Schulform aufgrund des Direktionsrechts nicht ungewöhnlich.

 

(c) Der indizierte Rechtsmissbrauch ist ferner nicht dadurch widerlegt, dass der Kläger nicht ausnahmslos in demselben zeitlichen Umfang beschäftigt wurde. Jedenfalls seit dem 21. Juni 2007 wurde er ganz überwiegend mit vollem Stundendeputat eingesetzt. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, bestätigt dies, dass das beklagte Land den Kläger wie eine unbefristete Arbeitskraft als Personalreserve eingeplant hat. Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall von demjenigen, über den der Senat am 7. Oktober 2015 (- 7 AZR 944/13 - Rn. 23) zu entscheiden hatte. Dort lag kein institutioneller Rechtsmissbrauch vor, da die Vertragsgestaltung mit der Klägerin, die an verschiedenen Schulen und Schulformen als Lehrerin für Hauswirtschaftslehre mit einem signifikant unterschiedlichen Lehrdeputat von zwei Stunden bis zu 25,5 Stunden (Vollzeit) befristet beschäftigt wurde, nicht darauf schließen ließ, dass sie wie eine dauerhaft Beschäftigte eingeplant wurde.

 

(d) Der indizierte Rechtsmissbrauch ist auch nicht deshalb als entkräftet anzusehen, weil der Kläger ganz überwiegend zur Vertretung von Stammkräften eingestellt wurde, die sich in Elternzeit befanden. § 21 Abs. 1 BEEG dient dem sozialpolitischen Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass sich ein anderes Verständnis nicht mit der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung in Einklang bringen ließe. Nach der Rechtsprechung des EuGH werden mit Maßnahmen, die dem Schutz bei Schwangerschaft und Mutterschaft dienen und es Männern und Frauen ermöglichen sollen, ihren beruflichen und familiären Verpflichtungen gleichermaßen nachzukommen, legitime sozialpolitische Ziele verfolgt. Die Legitimität dieser Ziele wird durch die Richtlinie 92/85/EWG und durch die Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub bestätigt. Aber auch in den Fällen des § 21 Abs. 1 BEEG verlangt der EuGH konkret zu prüfen, ob die Verlängerung aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder -verhältnisse zur Deckung eines echten zeitweiligen Bedarfs dient und nicht in Wirklichkeit eingesetzt wird, um einen ständigen und dauerhaften Arbeitskräftebedarf des Arbeitgebers zu decken (vgl. EuGH 26. Januar 2012 - C-586/10 - [Kücük] Rn. 34 ff.). Dementsprechend hat der Senat im Urteil vom 29. April 2015 (- 7 AZR 310/13 -) den Umstand, dass der Arbeitgeber Ausfallzeiten, die durch Mutterschutz, Elternzeit und Sonderurlaub zur Kinderbetreuung bedingt sind, nach § 21 Abs. 1 BEEG durch die befristete Einstellung einer Vertretungskraft überbrücken kann, lediglich in die auch in diesem Fall notwendige Gesamtabwägung einbezogen.

 

(e) Die fehlende Lehramtsbefähigung des Klägers entkräftet den indizierten Rechtsmissbrauch ebenfalls nicht. Zwar hat das beklagte Land grundsätzlich ein berechtigtes Interesse daran, nur qualifizierte Lehrkräfte mit einer Lehramtsbefähigung für zwei Fächer unbefristet einzustellen. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber angenommen, dass die fehlende Lehramtsbefähigung für das beklagte Land keinen Hinderungsgrund darstellte, den Kläger ununterbrochen 9,5 Jahre lang zu beschäftigen. Das Argument der fehlenden formalen Qualifikation und vielseitigeren Einsetzbarkeit des Klägers verliert mit zunehmender Dauer der Beschäftigung an Gewicht und vermag daher einen indizierten Rechtsmissbrauch nicht mehr zu entkräften. Eine dauerhafte Beschäftigung formal nicht hinreichend qualifizierter Lehrkräfte in befristeten Arbeitsverhältnissen ist auch nicht durch den vom beklagten Land behaupteten Umstand gerechtfertigt, fachlich geeignete Förderlehrer hätten in der Vergangenheit nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung gestanden.

(f) Die Rüge des beklagten Landes, das Landesarbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass sich der Kläger stets nur auf befristete Stellen und nie auf eine unbefristete Stelle für „Seiteneinsteiger“ beworben habe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Bewerbung eines Arbeitnehmers auf eine befristete Stelle schließt weder eine Sachgrundprüfung aus noch rechtfertigt sie die gesetzwidrige Gestaltung des Arbeitsvertrags. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn der Arbeitnehmer iSv. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 TzBfG jeweils den Wunsch nach einer nur zeitlich begrenzten Beschäftigung gehabt hätte. Entscheidend dafür ist, ob der Arbeitnehmer auch bei einem Angebot auf Abschluss eines unbefristeten Vertrags nur ein befristetes Arbeitsverhältnis vereinbart hätte (BAG 18. Januar 2017 - 7 AZR 236/15 - Rn. 30 mwN; 12. November 2014 - 7 AZR 891/12 - Rn. 31, BAGE 150, 8). Weder die Bewerbung auf eine befristete Stelle noch die Unterzeichnung eines daraufhin abgeschlossenen Arbeitsvertrags lässt aber im vorliegenden Fall auf einen entsprechenden Wunsch des Klägers schließen, selbst wenn der Kläger die Möglichkeit gehabt hätte, sich auf eine andere, unbefristete Stelle zu bewerben. Es ist kein objektiver Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass der Kläger eine befristete Beschäftigung einer unbefristeten Beschäftigung vorgezogen hätte.

 

(g) Der Annahme eines institutionellen Rechtsmissbrauchs stehen auch haushaltsrechtliche Gründe nicht entgegen. Der vertragsschließende öffentliche Arbeitgeber ist zwar gehalten, keine Verpflichtungen einzugehen, die nicht durch ein Haushaltsgesetz gedeckt sind. Allerdings darf der öffentliche Arbeitgeber die Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen nicht unter Berufung auf das Fehlen von Haushaltsmitteln verweigern, wenn ein Arbeitsvertrag unter Verletzung des Haushaltsgesetzes geschlossen wurde (BAG 7. Juli 1999 - 7 AZR 609/97 - zu II 1 der Gründe, BAGE 92, 121). Die verbindlichen Vorgaben des Haushalts rechtfertigen nicht die gesetzwidrige Gestaltung befristeter Arbeitsverträge. Zu einer anderen Beurteilung führt auch nicht das Verbot der Neuverschuldung in Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG.

 

(h) Ohne Erfolg rügt das beklagte Land schließlich, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, es spreche für eine missbräuchliche Ausnutzung der Befristungsmöglichkeit, dass die vereinbarten Laufzeiten der befristeten Arbeitsverträge verschiedentlich nicht mit den Gründen für die Befristungen korrelierten. Zwar hat das Landesarbeitsgericht zu Unrecht einen für einen institutionellen Rechtsmissbrauch sprechenden Gesichtspunkt darin gesehen, dass sich die Befristungsdauer abweichend von dem Vertretungsgrund „auf den Beginn der Sommerferien“, also auf das Ende des Schuljahres beziehe und damit von dem Vertretungsgrund abweiche. Es hat dabei nicht hinreichend beachtet, dass der Vertretungsbedarf im Schulbereich - abweichend von den allgemeinen Grundsätzen - von verschiedenen, sich ständig verändernden tatsächlichen Umständen abhängig ist, die eine schuljahres- und schulhalbjahresbezogene Personalplanung für den Unterricht durch die Bezirksregierungen und Schulen rechtfertigen. Nicht nur das Schuljahr, sondern auch das Schulhalbjahr stellt eine organisatorische Zäsur dar, um für das folgende Halbjahr eine volle und möglichst fachbezogene Unterrichtsversorgung zu gewährleisten (BAG 26. Oktober 2016 - 7 AZR 135/15 - Rn. 40). Auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt kommt es jedoch im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich an. Das wiederholte Auseinanderfallen von Grund und Dauer der Befristung könnte zwar dafür sprechen, einen Rechtsmissbrauch zu begründen, wenn eine entsprechende Prüfung veranlasst wäre. Ein - wie hier - indizierter Rechtsmissbrauch lässt sich damit aber nicht entkräften.“ (BAG, Urteil vom 17. Mai 2017 – 7 AZR 420/15 –, BAGE 159, 125-139, Rn. 22 - 40)

 

Pauschale Betrachtungen können/dürfen nicht angestellt werden. Es gilt aber immer den Einzelfall zu betrachten.

 

Rechtsanwalt Oliver Renner berät und vertritt Lehrer/Lehrerinnen* zur Frage, ob die Befristung zulässig ist.

 

Gerne stehe ich Ihnen zur Verfügung.

 

Stuttgart, den 18.01.2022

 

Oliver Renner

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

 

c/o Wüterich Breucker Rechtsanwälte Partnerschaft mbH

Charlottenstr. 22 - 24

70182 Stuttgart

Telefon: 0711/23992-0

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