Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung?

eingestellt am 23.03.2023

Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung?

 

Zwischen dem XI. Zivilsenat und dem II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs besteht derzeit keine Einigkeit über eine für zahlreiche anhängige Rechtsstreitigkeiten sowie ggf. noch offene Schadensersatzansprüche wesentliche Rechtsfrage. Wann hier Klarheit bestehen wird, ist noch offen.

Nach der Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs schließt die spezialgesetzliche Prospekthaftung gemäß den § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung in ihrem Anwendungsbereich eine Haftung von Gründungsgesellschaftern als Prospektveranlasser unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB aus.(u.a. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/18 -).

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichts vertritt hierzu eine andere Rechtsauffassung: Die spezialgesetzliche Prospekthaftung gemäß den § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung schließt in ihrem Anwendungsbereich eine gesellschaftsrechtliche Haftung der Gründungs- bzw. Altgesellschafter wegen einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung gemäß § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB nicht ausschließe (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2022 – II ZR 22/22).

An sich müsste in solchen Fällen, wenn zwei Senate des Bundesgerichthofs unterschiedlicher Auffassung sind, der große Senat beim Bundesgerichtshof angerufen werden müssen. Ein Vorlageverfahren an den großen Senat gemäß § 132 Abs. 2, Abs. 3 GVG kam bislang nicht in Betracht, weil die Rechtsfrage, die der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs anders als der XI. Zivilsenat beantwortete bislang noch nicht entscheidungserheblich war.

Am 21. März 2023 wäre ein Verfahren beim II. Zivilsenat verhandelt worden. Ggf. wäre es hier zu einer Vorlage an den großen Senat gekommen.

Dem II. Zivilsenat wurde die Entscheidung aber aus der Hand genommen, da die Revision zurückgenommen wurde. Weitere Verfahren hat der II. Zivilsenat zur Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen (so die Pressemitteilung Nr. 56/2023 vom 22.03.2023 des Bundesgerichthofs).

Über eine wesentliche Rechtsfrage besteht daher weiterhin Unklarheit. Solange dies der Fall ist, muss insbesondere in Bezug auf den Tatsachenvortrag vor Gericht genau darauf geachtet werden, dass hierzu – egal wie die Rechtsfrage am Ende abschließend entschieden wird – entscheidungserheblich vorgetragen wird.

Das ist die hohe Kunst des Instanzenanwalts.

Stuttgart, den 23.03.2023

 

Oliver Renner

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

 

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