Ein Versicherungsmakler ist ohne besondere Gründe nicht gehalten, seinem Kunden den Abschluss einer Risikolebensversicherung anzuraten
OLG Dresden, Urteil vom 26.04.2024 – 3 U 79/23 –
Das Oberlandesgericht Dresden hat in seinem Urteil vom 26.04.2024 – Aktenzeichen 3 U 79/23 – zum einen die Pflichten des Versicherungsmaklers/-vermittlers im Hinblick auf das Anraten zum Abschluss einer Risikolebensversicherung und zum anderen die Folgen einer nicht vorhandenen Dokumentation nach § 61 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) im Hinblick auf die Beweislastverteilung konkretisiert.
1.
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten um Schadensersatz, da der Versicherungsmakler es unterlassen habe, zum Abschluss einer Risikolebensversicherung zu raten.
Im Jahre 2017 schlossen die Ehefrau und ihr später verstorbener Ehegatte mit dem verklagten Versicherungsmakler zur Regelung ihrer gemeinsamen Zusammenarbeit einen schriftlichen Maklervertrag über Versicherungsleistungen. Der Versicherungsmakler vermittelte und verwaltete in der Folgezeit mehrere Versicherungsverträge der Eheleute. Im Mai 2020 versandte der Versicherungsmakler einen als „Jahrescheck 2020“ betitelten Erfassungsbogen an die Eheleute, in welchem diese ihre etwaigen weiteren Beratungswünsche angeben konnten. Die Eheleute machten hiervon Gebrauch und gaben dabei an, Beratungsbedarf bestehe in den Bereichen „Planung der Altersversorgung“, „Steuern sparen“, „Ausbildungssparen für Kinder“, „Berufsunfähigkeits-Absicherung“; „Hinterbliebenen/Familien-Absicherung“, „Lebens- und Rentenversicherungen“ und „Unfallversicherung“.
Es kam sodann am 16.07.2020 zu einem persönlichen Beratungsgespräch in den Wohnräumen der Eheleute. In diesem Zusammenhang erneuerten sie zunächst den bestehenden Maklervertrag. Festgelegt wurde dabei auch, dass sich der Maklervertrag u.a. (neben Haftpflicht, Hausrat etc.) auch auf die Sparten „Leben/ Rente/ BU/ Pflege“ beziehe. Der Ehemann war zum damaligen Zeitpunkt seit mehreren Jahren Hauptverdiener in der Ehe, während sich die Ehefrau vorwiegend der Erziehung der beiden 2017 und 2018 geborenen Kinder widmete. Für seine Tätigkeit als Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin erhielt der Ehemann in den letzten Jahren ein Jahresbruttogehalt in Höhe von ca. 75.000 €. Außerdem bestand damals noch eine offene Darlehensverbindlichkeit in Höhe von ca. 20.000 € aus dem Erwerb eines Kraftfahrzeugs.
Inhalt des Gesprächs war, neben einer Berufsunfähigkeitsversicherung auch für die Ehefrau, der Abschluss einer Risikolebensversicherung für den Fall des Todes des Hauptverdieners.
Der Inhalt des Beratungsgesprächs war im übrigen streitig und wurde nicht dokumentiert.
Am 05.12.2020 verstarb der Ehemann im Alter von 39 Jahren unvermittelt an einem durch Streptokokken induzierten Toxic-Schock-Syndrom.
Die Ehefrau stellte fest, dass die Unfallversicherung keine Todesfallabsicherung beinhaltete und das bislang angesparte Guthaben der Rentenversicherungen nicht ausreichte, um hieraus im Todesfall eine Rente zu bilden. Sie konfrontierte den Versicherungsmakler in einem gemeinsamen Gespräch mit diesen Umständen. Dieser wies in diesem Gespräch eine Schadensersatzpflicht von sich. Daraufhin verklage die Ehefrau den Versicherungsmakler auf Schadensersatz.
2.
Das Urteil:
Die Ehefrau forderte vom Versicherungsmaler Schadensersatz in Höhe von € 500.000,00. Diese Summe hätte sie für den Todesfall abgesichert und er wäre von der Lebensversicherung ausgezahlt worden (Quasideckung).
Der Versicherungsmakler beantragte Klageabweisung.
Das Landgericht Dresden hatte der Klage in Höhe von € 375.000,00 stattgegeben. Eine zusätzliche Erhöhung aufgrund der Ausbildungskosten sei - auch unter Berücksichtigung der Halbwaisenrenten der Kinder - nicht zwingend und auch unter Berücksichtigung des Darlehens sei dieser fünffache Wert des Jahreseinkommens als ausreichend anzusehen.
Gegen das Urteil legten beide Parteien Berufung beim Oberlandesgericht Dresden ein.
Das Oberlandesgericht Dresden hat die Klage der Ehefrau abgewiesen.
3.
Die Begründung:
Das Oberlandesgericht Dresden kam zum Ergebnis, dass von einer Verletzung der Beratungspflicht aus § 61 Abs. 1 Satz 1 VVG ist nicht auszugehen ist.
a)
Fehlendes Zuraten zum Abschluss einer Risikolebensversicherung
Das fehlende Zuraten zum Abschluss einer Risikolebensversicherung stellt nach dem Oberlandesgericht Dresden in der vorliegenden Konstellation keine Pflichtverletzung dar.
Unstreitig hatte der Versicherungsmakler zwar nicht zum Abschluss einer Risikolebensversicherung zugeraten.
Dies wäre aber schon dann unnötig, wenn es so gewesen wäre – wie sich der Versicherungsmakler verteidigte -, dass der verstorbene Ehemann „abgeblockt“ habe. Hat der Versicherungsnehmer einen klar abgegrenzten Wunsch artikuliert, ist nicht nur die Befragungs-, sondern auch die Beratungspflicht auf ein Minimum reduziert, sofern nicht die Entscheidung erkennbar sachwidrig ist oder erkennbar auf falschen Annahmen beruht.
Unabhängig hiervon stellt das fehlende Zuraten nach dem Oberlandesgericht Dresden vorliegend keinen Beratungsfehler dar.
Die Absicherung des Todesfallrisikos ist im Privatkundengeschäft in der Regel keine objektive Frage, sondern eine subjektive Frage der Vorstellungen des Versicherungsnehmers. Ob und inwieweit der Abschluss einer Risikolebensversicherung zweckmäßig oder erforderlich ist, hängt normalerweise allein davon ab, welche Vorstellungen ein Versicherungsnehmer vom Risiko seines Todes hat und inwieweit er persönlich Prioritäten für eine bestimmte Vorsorge für nahe Angehörige setzen möchte. Ein Versicherungsmakler ist daher im Privatkundengeschäft in der Regel nicht ohne Weiteres verpflichtet, jedem Kunden - unabhängig von dessen Einstellungen und Vorstellungen - den Abschluss einer Risikolebensversicherung vorzuschlagen.
Eine Pflicht zum Zuraten kann sich nur dann ergeben, wenn sich der Versicherungsschutz quasi aufdrängt, zum Beispiel weil er absolut üblich ist oder aus objektiver Sicht eine besondere Gefährdungssituation vorliegt. Dies kann im Einzelfall auch aus allein subjektiven Gründen denkbar sein.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze war der Versicherungsmakler in der vorliegenden Konstellation nicht gehalten, Position zur Frage des „ob“ eines Abschlusses zu beziehen und konnte dies der freien Entscheidung seiner Kunden überlassen, weshalb das fehlende Zuraten keinen Beratungsfehler darstellt.
Absolut üblich ist das Innehaben einer Risikolebensversicherung nicht. Der Versicherungsmakler hatte eingewandt, dass lediglich ca. 20 % seiner Mandantschaft eine Risikolebensversicherung haben und selbst bei Haushalten von Paaren mit Kindern verfügt die Mehrheit nicht über eine Risikolebensversicherung.
Vorliegend war auch keine objektive, besondere Gefährdungssituation gegeben. Eine solche kann sich sowohl aus einer besonderen Anfälligkeit für die Stabilität der Lebenssituation der Begünstigten ergeben als auch aus einem erhöhten Todesfallrisiko. Ersteres könnte etwa angenommen werden, wenn eine Familie in einem weitgehend noch nicht abbezahlten Eigenheim wohnt und mit dem Versterben des Hauptverdieners mangels weiterer Bedienung des Darlehens der Notverkauf bzw. die Zwangsversteigerung und damit der Verlust der Wohnstätte droht. Eine solche Situation lag hier nicht vor. Allein das Leben mit jüngeren Kindern in einem Familienmodell, in welchem ein Ehepartner Alleinverdiener ist, begründet ohne weitere Anhaltspunkte keine besondere Gefährdungssituation, zumal vorliegend die Ehefrau als promovierte Akademikerin jedenfalls mittelfristig in der Lage gewesen wäre, durch eigenes Erwerbseinkommen für den Unterhalt der Familie aufzukommen. Dass der finanzielle Lebensstandard mit dem Versterben eines arbeitenden Elternteils sinkt, ist eine regelmäßige Folge und begründet für sich genommen keine besondere Gefährdungssituation.
Aber auch ein erhöhtes Todesfallrisiko war hier nicht gegeben, weshalb keine Pflichtverletzung infolge falscher Ermittlung des Todesfallrisikos vorliegt. Weder waren lebensbedrohliche Vorerkrankungen festzustellen noch handelte es sich bei dem seinerzeit ausgeübten Beruf des verstorbenen Ehegatten als Facharzt einer Klinik um eine erkennbar gefahrgeneigte Tätigkeit mit deutlich überdurchschnittlichem Todesfallrisiko, wie es etwa bei einem Bombenentschärfer oder Soldaten im Fronteinsatz der Fall sein mag.
Schließlich ist auch nicht von einer Pflichtverletzung vor dem Hintergrund der subjektiven Wünsche und Vorstellungen der Ehefrau oder ihres Ehemanns auszugehen. So kann den beratenden Versicherungsmakler im Einzelfall auch dann eine Pflicht zum Zuraten treffen, wenn objektive Gründe weder für noch gegen den Abschluss einer Risikolebensversicherung sprechen, die zu beratende Person aber im Gespräch erkennbar hohen Wert auf die Absicherung legt, weil sie sich oder ihrem Partner etwa einem erhöhten Todesrisiko ausgesetzt wähnt oder weil sie generell kein Risiko eingehen möchte und die Hinterbliebenen im Todesfall vollständig abgesichert wissen will. Eine Zuratenspflicht aufgrund „subjektiver Einstellungen und Vorstellungen“ setzt indes voraus, dass diese im Beratungsgespräch dezidiert geäußert werden bzw. deutlich wird, dass die Absicherung sehr gewünscht ist. Die persönlichen oder situationsgebundenen Umstände des Versicherungsnehmers müssen hierbei für den Vermittler offenbar geworden sein. Hierfür trägt die Ehefrau die Darlegungs- und Beweisbelastet für einen derartigen Gesprächsinhalt, denn grundsätzlich hat der den Schadensersatz begehrende Kunde bzw. Versicherungsnehmer darzulegen und zu beweisen, dass der Versicherungsmakler seine Beratungspflicht verletzt hat, wobei den Versicherungsmakler allerdings eine sekundäre Darlegungslast trifft.
Zutreffend argumentierte die Ehefrau zwar, dass es für die Beurteilung der Beratungsleistung des Versicherungsmaklers nicht nur auf die Absicherungswünsche des verstorbenen Ehemannes ankam, sondern auch auf ihre eigenen. Allerdings darf insoweit nicht verkannt werden, dass eine behauptete Pflichtverletzung darin bestanden haben soll, dem Ehemann nicht zum Abschluss einer Risikolebensversicherung mit der Ehefrau als Bezugsberechtigte zugeraten zu haben. Vertragspartner dieser Versicherung und - in förmlicher Hinsicht - Entscheider über den Abschluss wäre allein der verstorbene Ehemann gewesen. Der im Beratungsgespräch anwesenden Ehefrau hätte es aber freigestanden, auf ihren Ehemann einzuwirken und ihre Absicherungsinteressen nachdrücklich einzubringen. Erst Recht hätte es ihr freigestanden, selbst eine Risikolebensversicherung auf den Tod ihres Ehemanns abzuschließen.
b)
Beweislastumkehr wegen fehlender Dokumentation
Die fehlende Dokumentation des Beratungsgesprächs führt nach Auffassung des Oberlandesgerichts Dresden nicht zur Umkehr der Beweislast zu Gunsten der Ehefrau.
Nach dem Wortlaut des § 61 Abs. 1 VVG hängt der Umfang der Beratung und Dokumentation von der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, und von dem Anlass (Lebensumstände des Kunden). Der Umfang der Fragepflicht ist anlass- und damit einzelfallabhängig. Die Dokumentation muss umso ausführlicher ausfallen, je komplizierter und wirtschaftlich bedeutender die Versicherung ist. Weil der Schwerpunkt der Maklerberatung auf einem Produktvergleich liegt, das Gesetz Beratungs- und Dokumentationspflicht, wie an § 62 VVG erkennbar, auf den Abschluss eines Vertrages ausgerichtet hat und es sich bei einer Risikolebensversicherung um ein vergleichsweise einfaches Versicherungsprodukt handelt, ist bereits fraglich, ob sich, wird wie hier trotz Verständlichkeit des Versicherungsproduktes gar kein Produkt ausgewählt bzw. empfohlen, die Dokumentation darauf beschränken darf, dass über den etwaigen Abschluss einer entsprechenden Versicherung gesprochen wurde. Dass über den Abschluss einer Risikolebensversicherung gesprochen wurde, ist aber unstreitig. Daher führt die dahingehende fehlende Dokumentation nicht zur Umkehr der Beweislast.
4.
Fazit
Ob und welche Beratungspflichten in Bezug auf den Abschluss einer Risikolebensversicherung bestehen und wie der Inhalt zu dokumentieren ist, ist nach dem Einzelfall individuell zu beurteilen.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden zeigt, dass Pauschalaussagen schwer getroffen werden können. Dem Versicherungsmakler ist es anzuraten, den Inhalt des Gesprächs genau zu dokumentieren, um sich hernach gegen behauptete Pflichtverletzungen zur Wehr setzen zu können und nicht in das zusätzliche Risiko einer Beweislast für nicht dokumentierte ggf. bestehende Pflichten zu geraten.
Bei Fragen zur Dokumentation oder im Falle einer drohenden/reklamierten Haftung stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Sie können sich an mich telefonisch oder per Email wenden:
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Stuttgart, den 14. Juli 2024
Oliver Renner
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht
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